Gortschakow u. Schuwalow. Berechnete Unehrlichkeit der ruff. Politik. 249
in England getäuscht werden können. Daß die Archive des Aus-
wärtigen Amtes in London ängstlicher als irgendwo gehütet
werden, läßt vermuthen, daß in ihnen noch manche ähnliche Probe
zu entdecken sein würde. Im Ganzen wird man aber doch sagen
dürfen, daß der Zar leichter zu belügen ist als das Parlament.
Bei den diplomatischen Verhandlungen über Ausführung
der Bestimmungen des Berliner Congresses wurde in Peters-
burg erwartet, daß wir jede russische Auffassung der östreichisch-
englischen gegenüber ohne weitres und namentlich ohne vor-
gängige Verständigung zwischen Berlin und Petersburg unter-
stützen und durchsetzen würden. Meine angedeutete, endlich
ausgesprochne Forderung, die russischen Wünsche uns vertrau-
lich, aber deutlich auszusprechen und darüber zu verhandeln,
wurde eludirt, und ich erhielt den Eindruck, daß Fürst Gort-
schakow von mir, wie eine Dame von ihrem Verehrer, er-
wartete, daß ich die russischen Wünsche errathen und vertreten
würde, ohne daß Rußland selbst sie auszusprechen und dadurch
eine Verantwortlichkeit zu übernehmen brauchte. Selbst in
Fällen, wo wir annehmen durften, der russischen Interessen
und Absichten völlig gewiß zu sein, und glaubten, der russi-
schen Politik einen Beweis unfrer Freundschaft freiwillig geben
zu können, ohne eigne Interessen zu schädigen, erfuhren wir
statt der erwarteten Anerkennung eine nörgelnde Mißbilligung,
weil wir angeblich in Richtung und Maß nicht das von unserm
russischen Freunde Erwartete getroffen hatten. Auch wenn letztres
unzweifelhaft der Fall war, hatten wir keinen bessern Erfolg.
In diesem ganzen Verfahren lag eine berechnete Unehrlichkeit
nicht nur uns, sondern auch dem Kaiser Alexander gegenüber,
dessen Gemüthe die deutsche Politik als unehrlich und unzuver-
lässig erscheinen sollte. Votre amitié est trop platonique 9, hat
die Kaiserin Marie einem unfrer Vertreter vorwurfsvoll gesagt.
1) Ihre Freundschaft ist zu platonisch.