264 Achtundzwanzigstes Kapitel: Berliner Congreß.
wir der Festigkeit eines Bündnisses mit Rußland die Be-
ziehungen zu allen andern Mächten zum Opfer brächten, uns bei
acuten Vorkommnissen von französischer und östreichischer Re-
vanchelust bei unsrer exponirten geographischen Lage in einer
gefährlichen Abhängigkeit von Rußland befinden würden. Die
Verträglichkeit Rußlands mit Mächten, die nicht auch ohne sein
Wohlwollen bestehn könnten, hätte ihre Grenzen, namentlich
bei einer Politik wie die des Fürsten Gortschakow, die mich
mitunter an asiatische Auffassungen erinnerte. Er habe oft
jeden politischen Einwand einfach mit dem Argumente nieder-
geschlagen: „empereur est fort irrité“, worauf ich ironisch zu
antworten pflegte: „Eh, le mien donc!“ Schuwalow bemerkte
dazu: „Gortschakoff est un animal“, was in dem Petersburger
Jargon nicht so grob gemeint ist, wie es klingt: „il n’'a aucune
influence #1); er verdanke es überhaupt nur der Achtung des
Kaisers vor dem Alter und dem frühern Verdienste, daß er
formell noch die Geschäfte führe. Worüber könnten Rußland
und Preußen ernsthaft jemals in Streit gerathen? Es gebe
garkeine Frage zwischen ihnen, die wichtig genug dazu wäre.
Das letztre gab ich zu, erinnerte aber an Olmütz und den sieben-
jährigen Krieg, man gerathe auch aus unwichtigen Ursachen in
Händel, sogar aus Formfragen; es würde manchen Russen auch
ohne Gortschakow schwer, einen Freund als gleichberechtigt zu be-
trachten und zu behandeln, ich wäre in dem Punkte der Form
persönlich nicht empfindlich — aber das jetzige Rußland habe
bis auf Weitres nicht blos die Formen, sondern auch die An-
sprüche Gortschakow's.
Ich lehnte die „Option“ zwischen Oestreich und Rußland
auch damals ab und empfahl den Bund der drei Kaiser oder
doch die Pflege des Friedens zwischen ihnen.
1) „Der Kaiser ist sehr entrüstet.“ —, Gewiß, der meinige.“ — „Gortscha-
kow ist ein Tölpel, er hat keinen Einfluß.“