Tragfähigkeit von Bündnissen. Wilhelm's I. Widerstreben. 285
Alle Erwägungen und Argumente, die ich dem in Baden
befindlichen Kaiser schriftlich aus Gastein, aus Wien und dem-
nächst aus Berlin unterbreitete, waren ohne die gewünschte
Wirkung. Um die Zustimmung des Kaisers zu dem von mir mit
Andrassy vereinbarten und von dem Kaiser Franz Joseph unter
der Voraussetzung, daß Kaiser Wilhelm dasselbe thun würde,
genehmigten Vertragsentwurfe herbeizuführen, war ich genöthigt,
zu dem für mich sehr peinlichen Mittel der Cabinetsfrage zu
greifen, und es gelang mir, meine Collegen für mein Vorhaben
zu gewinnen. Da ich selbst von den Anstrengungen der letzten
Wochen und von der Unterbrechung der Gasteiner Cur zu an-
gegriffen war, um die Reise nach Baden-Baden zu machen, so
übernahm sie Graf Stolberg; er führte die Verhandlungen,
wenn auch unter starkem Widerstreben Sr. Majestät, glücklich
zu Ende 1½. Der Kaiser war von den politischen Argumenten
nicht überzeugt worden, sondern ertheilte das Versprechen, den
Vertrag zu ratificiren, nur aus Abneigung gegen einen Per-
sonenwechsel in dem Ministerium. Der Kronprinz war von
Hause aus für das östreichische Bündniß lebhaft eingenommen,
aber ohne Einfluß auf seinen Vater.
Der Kaiser hielt es in seinem ritterlichen Sinne für er-
forderlich, den Kaiser von Rußland vertraulich darüber zu ver-
ständigen 2), daß er, wenn er eine der beiden Nachbarmächte
angriffe, beide gegen sich haben werde, damit Kaiser Alexander
nicht etwa irrthümlich annehme, Oestreich allein angreifen zu
1) Die auf die Vorgeschichte des deutsch-östreichischen Bündnisses be-
züglichen Acten sind bei Busch, Bismarck, Some secret pages of bis
history (London, Macmillan and Co.) 1898, III 257 ff. in englischer Ueber-
setzung aus den Originalen veröffentlicht; die deutsche Ausgabe enthält
diesen Abschnitt nicht. Einige der Stücke finden sich im Anhang zu
Bismarck's Gedanken und Erinnerungen II 521—529.
:) Im Schreiben vom 4. Nov. 1879, nach dem Original mitgetheilt
in Horst Kohl, Wegweiser durch Bismarck's Gedanken und Erinnerungen
S. 178 ff., ebendort S. 180 ff. die Antwort des Zaren vom 14. Nov. 1879.