288 Neunundzwanzigstes Kapitel: Der Dreibund.
europäischen Politik Wendungen eintreten, die für Oestreich-
Ungarn eine antideutsche Politik als Staatsrettung erscheinen
lassen, eine Selbstaufopferung für die Vertragstreue ebenso
wenig erwarten, wie während des Krimkriegs die Einlösung
einer Dankespflicht erfolgte, die vielleicht gewichtiger war als
das Pergament eines Staatsvertrags.
Ein Bündniß unter gesetzlicher Bürgschaft wäre eine Ver-
wirklichung der Verfassungsgedanken gewesen, die in der Pauls-
kirche den gemäßigtsten Mitgliedern, den Vertretern des engern
reichsdeutschen und des größern östreichisch-deutschen Bunds,
vorschwebten; aber grade die vertragsmäßige Sicherstellung
solcher gegenseitigen Verpflichtungen ist eine Feindin ihrer Halt-
barkeit. Das Beispiel Oestreichs aus der Zeit von 1850 bis
1866 ist mir eine Warnung gewesen, daß die politischen Wechsel,
die man auf solche Verhältnisse zu ziehn in Versuchung kommt,
über die Grenzen des Credits hinausgehn, den unabhängige
Staaten in ihren politischen Operationen einander gewähren
können. Ich glaube deshalb, daß das wandelbare Element des
politischen Interesses und seiner Gefahren ein unentbehrliches
Untersutter für geschriebene Verträge ist, wenn sie haltbar sein
sollen. Für eine ruhige und erhaltende östreichische Politik ist
das deutsche Bündniß das nützlichste.
Die Gefahren, die für unfre Einigkeit mit Oestreich in den
Versuchungen russisch-östreichischer Verständigungen im Sinne
der Zeit von Joseph II. und Katharina oder der Reichstadter
Convention und ihrer Heimlichkeit liegen, lassen sich, so weit
das überhaupt möglich ist, paralysiren, wenn wir zwar fest auf
Treue gegen Oestreich, aber auch darauf halten, daß der Weg
von Berlin nach Petersburg frei bleibt. Unfre Aufgabe ist,
unfre beiden kaiserlichen Nachbarn in Frieden zu erhalten. Die
Zukunft der vierten großen Dynastie in Italien werden wir in
demselben Maße sicher zu stellen im Stande sein, in dem es uns
gelingt, die drei Kaiserreiche einig zu erhalten und den Ehrgeiz