Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Zweiter Band. (2)

Welche Politik hat Deutschland im Orient zu verfolgen? 307 
  
um die Welt zu überzeugen, daß eine deutsche Hegemonie in 
Europa nützlicher und unparteiischer, auch unschädlicher für die 
Freiheit andrer wirkt als eine französische, russische oder eng- 
lische. Die Achtung vor den Rechten andrer Staaten, an der 
namentlich Frankreich in den Zeiten seines Uebergewichts es 
hat fehlen lassen, und die in England doch nur so weit reicht, 
als die englischen Interessen nicht berührt werden, wird dem 
Deutschen Reiche und seiner Politik erleichtert, einerseits durch 
die Objectivität des deutschen Charakters, andrerseits durch die 
verdienstlose Thatsache, daß wir eine Vergrößerung unfres un- 
mittelbaren Gebiets nicht brauchen, auch nicht herstellen könn- 
ten, ohne die centrifugalen Elemente im eignen Gebiete zu 
stärken. Mein ideales Ziel, nachdem wir unfre Einheit inner- 
halb der erreichbaren Grenzen zu Stande gebracht hatten, ist 
stets gewesen, das Vertraun nicht nur der mindermächtigen 
europäischen Staaten, sondern auch der großen Mächte zu er- 
werben, daß die deutsche Politik, nachdem sie die injuria tem- 
porumy, die Zersplitterung der Nation, gut gemacht hat, fried- 
liebend und gerecht sein will. Um dieses Vertraun zu erzeugen, 
ist vor allen Dingen Ehrlichkeit, Offenheit und Versöhnlichkeit 
im Falle von Reibungen oder von untoward events ?) nöthig. 
Ich habe dieses Recept nicht ohne Widerstreben meiner perfön- 
lichen Empfindlichkeiten befolgt in Fällen wie Schnäbele (April 
1887), Boulanger, Kaufmann (September 1887) „), Spanien 
gegenüber in der Carolinen-Frage, den Vereinigten Staaten 
gegenüber in Samoa, und vermuthe, daß die Gelegenheiten, 
zur Anschauung zu bringen, daß wir befriedigt und friedliebend 
sind, auch in Zukunft nicht ausbleiben werden. Ich habe 
1) Das Unrecht der Zeiten. 
:) Unerwarteten Ereignissen. 
2) Herbst 1887 erschoß der zum Grenzschutz gegen Wilddieberei com- 
mandirte Soldat Kaufmann einen französischen Waldhüter Brignon, 
der im Gefolge einer französischen Jagdgesellschaft die Grenze über- 
schritten und den Haltruf des deutschen Grenzsoldaten nicht beachtet hatte.
	        
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