Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Zweiter Band. (2)

308 Dreißigstes Kapitel: Zukünftige Politik Rußlands. 
  
während meiner Amtsführung zu drei Kriegen gerathen, dem 
dänischen, dem böhmischen und dem französischen, aber mir auch 
jedesmal vorher klar gemacht, ob der Krieg, wenn er siegreich 
wäre, einen Kampfpreis bringen würde, werth der Opfer, die 
jeder Krieg fordert und die heut so viel schwerer sind als in 
dem vorigen Jahrhundert. Wenn ich mir hätte sagen müssen, 
daß wir nach einem dieser Kriege in Verlegenheit sein würden, 
uns wünschenswerthe Friedensbedingungen auszudenken, so 
würde ich mich, so lange wir nicht materiell angegriffen waren, 
schwerlich von der Nothwendigkeit solcher Opfer überzeugt 
haben. Internationale Streitigkeiten, die nur durch den Volks- 
krieg erledigt werden können, habe ich niemals aus dem Gesichts- 
punkte des Göttinger Comments und der Privatmensuren-Ehre 
aufgefaßt, sondern stets nur in Abwägung ihrer Rückwirkung 
auf den Anspruch des deutschen Volks, in Gleichberechtigung 
mit den andern großen Mächten Europas ein autonomes poli- 
tisches Leben zu führen, wie es auf der Basis der uns eigen- 
thümlichen nationalen Leistungsfähigkeit möglich ist. 
Die traditionelle russische Politik, die sich theils auf Glaubens-, 
theils auf Blutsverwandschaft gründet, der Gedanke, die Ru- 
mänen, die Bulgaren, die griechischen, gelegentlich auch die 
römisch-katholischen Serben, die unter verschiednen Namen zu 
beiden Seiten der östreichisch-ungarischen Grenze vorkommen, 
zu „befreien“ von dem türkischen Joche und dadurch an Ruß- 
land zu fesseln, hat sich nicht bewährt. Es ist nicht unmöglich, 
daß in ferner Zukunft alle diese Stämme dem russischen Systeme 
gewaltsam angefügt werden, aber daß die Befreiung allein sie 
nicht in Anhänger der russischen Macht verwandelt, hat zuerst 
der griechische Stamm bewiesen. Er wurde seit Tschesme (1770) 
als Stützpunkt Rußlands betrachtet, und noch in dem russisch- 
1) In der Seeschlacht bei Tscheschme (5. Juli 1770) siegten die Russen 
unter Alexei Orlow über die Türken, deren Flotte zwei Tage nachher 
in der Bucht von Tscheschme vernichtet wurde.
	        
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