Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Zweiter Band. (2)

Mängel der Vorbereitung der Gesetzentwürfe. Ressortpatriotismus. 313 
  
in ihr eignes Ressort eingreisen. Ist das aber der Fall, so- 
regt sich das Unabhängigkeitsgefühl und der Particularismus, 
wovon jeder der acht föderirten ministeriellen Staaten und jeder 
Rath in seiner Sphäre beseelt ist. Die Wirkung eines be- 
absichtigten Gesetzes auf das praktische Leben im Voraus zu 
beurtheilen, wird aber auch der Ressortminister nicht im Stande 
sein, wenn er selbst ein einseitiges Product der Bürokratie ist, 
noch viel weniger aber seine Collegen. Diejenigen unter ihnen, 
die das Bewußtsein haben, nicht nur Ressortminister, sondern 
Staatsminister mit solidarischer Verantwortlichkeit für die Ge- 
sammtpolitik zu sein, machen nicht fünf Procent derer aus, 
welche ich zu beobachten Gelegenheit gehabt habe. Die übrigen 
beschränken sich auf das Bestreben, ihr Ressort einwandfrei zu 
verwalten, die Geldmittel dazu von dem Finanzminister und 
dem Landtage bewilligt zu erhalten und parlamentarische An- 
grisse auf ihr Ressort mit Beredsamkeit und nach Bedürfniß 
unter Preisgebung ihrer Untergebenen erfolgreich abzuwehren. 
Die Quittungen, die in der königlichen Unterschrift und der 
parlamentarischen Bewilligung liegen, sind ausreichend, um da- 
neben die Frage, ob die Sache an sich vernünftig sei, vor 
einem bürokratisch-ministeriellen Gewissen nicht zur Entscheidung 
kommen zu lassen. Einreden eines Collegen, dessen Ressort 
nicht direct betheiligt ist, erregen die Empfindlichkeit des Ressort- 
ministers, und diese wird in der Regel geschont, im Hinblick 
auf gleiche Schonung, die man für eigne Anträge vorkommenden 
Falls erwartet. Ich habe die Erinnerung, daß die Erörterungen 
des alten Staatsraths vor 1848, aus dem ich einige hervor- 
ragende Mitglieder gekannt habe, mit schärferer Anstrengung 
des eignen Urtheils und größerer Regsamkeit des Gewissens 
geführt worden sind als die Ministerberathungen, die ich mehr 
als vierzig Jahre lang zu beobachten in der Lage gewesen bin. 
Ich halte auch die Voraussetzung für trügerisch, daß ein 
ungeschickter Gesetzentwurf des Ministeriums im Landtage sach-
	        
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