Letzte Krankheit und Tod Wilhelm's I. Mängel seiner Vorbildung. 319
ment der Verstärkung meines Einflusses zu finden geglaubt.
Unter den Personen, die, so lange er noch Prinz Wilhelm war,
Einfluß auf seine Entwicklung haben konnten, standen in erster
Linie Militärs ohne politischen Beruf, nachdem der General
von Gerlach, der Jahre hindurch sein Adjutant gewesen war,
dem politischen Leben vorübergehend fremd geworden war. Er
war der begabteste unter den Adjutanten, die der Prinz gehabt
hatte, und nicht theoretischer Fanatiker in Politik und Religion
wie sein Bruder, der Präsident ), aber doch genug doctrinär,
um bei dem praktischen Verstande des Prinzen nicht den An-
klang zu finden, wie bei dem geistreichen Könige Friedrich
Wilhelm. Pietismus war ein Wort und ein Begriff, die mit
dem Namen Gerlach leicht in Verbindung traten wegen der
Rolle, die die beiden Brüder des Generals, der Präsident und
der Prediger, Verfasser eines ausgedehnten Bibelwerks?), in
der politischen Welt spielten.
Ein Gespräch, das ich 1853 in Ostende, wo ich dem Prinzen
näher getreten war, mit ihm hatte und das sich an den Namen
Gerlach knüpfte, ist mir in Erinnrung geblieben, weil es mich
betroffen machte über des Prinzen Unbekanntschaft mit unsern
staatlichen Einrichtungen und der politischen Situation.
Eines Tags sprach er mit einer gewissen Animosität über
den General von Gerlach, der aus Mangel an Uebereinstimmung
und, wie es schien, verstimmt aus der Adjutanten-Stellung
geschieden war. Der Prinz bezeichnete ihn als einen Pietisten.
Ich: „Was denken Ew. K. H. Sich unter einem Pietisten?“
Er: „Einen Menschen, der in der Religion heuchelt, um
Carriere zu machen.“
Ich: „Das liegt Gerlach fern, was kann der werden? Im
heutigen Sprachgebrauch versteht man unter einem Pietisten
etwas andres, nämlich einen Menschen, der orthodox an die
1) Ludwig von Gerlach (gest. 18. Febr. 1877).
:) Otto von Gerlach (gest. 24. October 1849).