Wilhelm's I. Menschenverstand und Furchtlosigkeit. 323
ein Deutscher?“ weil ich mich seiner durch häusliche Einflüsse
bedingten Neigung, ein neues gegen Preußen stimmendes Groß-
herzogthum in Kiel zu schaffen, widersetzte, derselbe Herr war,
wenn er, ohne durch politische Gedanken angekränkelt zu sein,
in naturwüchsiger Freiheit seinen Empfindungen folgte, einer
der entschlossensten Particularisten unter den deutschen Fürsten,
in der Richtung eines patriotischen und conservativ gesinnten
preußischen Offiziers- aus der Zeit seines Vaters. Der Einfluß
seiner Gemalin brachte ihn in reifern Jahren in Opposition
gegen das traditionelle Princip, und die Unfähigkeit seiner
Minister der neuen Aera und das überstürzende Ungeschick der
liberalen Parlamentarier in der Conflictszeit weckte in ihm
wiederum den alten Pulsschlag des preußischen Prinzen und
Offiziers, zumal er mit der Frage, ob die Bahn, die er ein-
schlug, gefährlich sei, niemals rechnete. Wenn er überzeugt
war, daß Pflicht und Ehre, oder eins von beiden, ihm geboten,
einen Weg zu betreten, so ging er ihn ohne Rücksicht auf die
Gefahren, denen er ausgesetzt sein konnte, in der Politik ebenso
wie auf dem Schlachtfelde. Einzuschüchtern war er nicht. Die
Königin war es, und das Bedürfniß des häuslichen Friedens
mit ihr war ein unberechenbares Gewicht, aber parlamentarische
Grobheiten oder Drohungen hatten nur die Wirkung, seine
Entschlossenheit im Widerstande zu stärken. Mit dieser Eigen-
schaft hatten die Minister der neuen Aera und ihre parlamen-
tarischen Stützen und Gefolgschaften niemals gerechnet. Graf
Schwerin war in seinem Mißverstehn dieses furchtlosen Offiziers
auf dem Throne so weit gegangen, zu glauben, ihn durch Ueber-
hebung und Mangel an Höflichkeit einschüchtern zu können ).
In diesen Vorgängen lag der Wendepunkt des Einflusses der
Minister der neuen Aera, der Altliberalen und der Bethmann-
Hollweg'schen Partei, von dem ab die Bewegung rückläufig
wurde, die Leitung in Roon's Hände fiel und der Minister-
1) S. Bd. 1 242.