352 Dreiunddreißigstes Kapitel: Kaiser Friedrich III.
mit Andern erwogen, ob das Maß nationaler Einheit, welches
wir gewonnen hatten, zu seiner Sicherstellung nicht einer andern
Form bedürfe als der zur Zeit gültigen, die aus der Ver-
gangenheit überliefert und durch die Ereignisse und durch Com-
promisse mit Regirungen und Parlamenten entwickelt war. Ich
habe in jener Zeit, wie ich glaube, auch in öffentlichen Reden
angedeutet, daß der König von Preußen, wenn ihm der Reichs-
tag die kaiserliche Wirksamkeit über die Grenzen der Möglich-
keit monarchischer Einrichtungen erschwere, sich zu einer stärkern
Anlehnung an die Unterlagen veranlaßt sehn könne, welche die
preußische Krone und Verfassung ihm gewähre ½. Ich hatte
bei Herstellung der Reichsverfassung befürchtet, daß die Gefähr-
dung unfrer nationalen Einheit in erster Linie von dynastischen
Sonderbestrebungen zu befürchten sei, und hatte mir daher zur
Aufgabe gestellt, das Vertraun der Dynastien durch ehrliche
und wohlwollende Wahrung ihrer verfassungsmäßigen Rechte
im Reiche zu gewinnen, habe auch die Genugthuung gehabt,
daß insbesondre die hervorragenden Fürstenhäuser eine gleich-
zeitige Befriedigung ihres nationalen Sinns und ihrer parti-
cularen Ansprüche fanden. In dem Ehrgefühle, das den Kaiser
Wilhelm I. seinen Bundesgenossen gegenüber beseelte, habe ich
stets ein Verständniß für die politische Nothwendigkeit gefunden,
das dem eignen stark dynastischen Gefühle schließlich doch über-
legen war.
Auf der andern Seite hatte ich darauf gerechnet, in den
gemeinsamen öffentlichen Einrichtungen, namentlich in dem
Reichstage, in Finanzen, basirt auf indirecten Steuern und in
Monopolen, deren Erträge nur bei dauernd gesichertem Zu-
sammenhange flüssig bleiben, Bindemittel herzustellen, die haltbar
genug wären, um centrifugaler Anwandlung einzelner Bundes-
regirungen Widerstand zu leisten. Die Ueberzeugung, daß ich
1) Vgl. Politische Reben XI 468.