Bedenklichkeit der Lage. Appell an die Ungarn. Kriegsrath v. 12. Juli. 39
und mit den übrigen verfügbaren deutschen Truppen, an sich guten
und tapfern Soldaten, und 60000 Franzosen wäre uns von
Südwesten her eine Armee von 200000 Mann unter einheit-
licher kräftiger französischer Leitung anstatt der frühern, schüch-
ternen und zwiespältigen entgegengetreten, der wir vorwärts
lvon] Berlin keine gleichwerthigen Streitkräfte gegenüberzustellen
hatten, ohne Wien gegenüber zu schwach zu werden. Mainz war
von Bundestruppen unter dem Befehl des bairischen Generals
Grafen Rechberg besetzt; wären die Franzosen einmal darin
gewesen, so würde es harte Arbeit gekostet haben, sie daraus
zu entfernen.
Unter dem Druck der französischen Intervention und zu einer
Zeit, als es sich noch nicht übersehn ließ, ob es gelingen werde,
sie auf dem diplomatischen Gebiete festzuhalten, entschloß sich
mich, dem Könige den Appell an die ungarische Nationalität
anzurathen. Wenn Napoleon in der angedeuteten Weise in den
Krieg eingriff, Rußlands Haltung zweifelhaft blieb, namentlich
aber die Cholera in unfrer Armee weitre Fortschritte machte,
so konnte unfre Lage eine so schwierige werden, daß wir zu
jeder Waffe, die uns die entfesselte nationale Bewegung nicht
nur in Deutschland, sondern auch in Ungarn und Böhmen dar-
bieten konnte, greifen mußten, um nicht zu unterliegen .
2.
Am 12. Juli fand in dem Marschquartier Czernahora Kriegs-
rath oder, wie die Militärs die Sache genannt haben wollen,
Generalsvortrag Statt — ich behalte der Kürze und des allge-
meinen Verständnisses wegen den erstern auch von Roon #6) ge-
brauchten Ausdruck bei, obwohl der Feldmarschall Moltke in
einem dem Professor von Treitschke am 9. März 1881 über-
X) In dem Briefe an seine Gemalin vom 7. Februar 1871 (Denk-
würdigkeiten III/ 297).
1) Vgl. die Aeußerung in der Rede vom 16. Januar 1874, Politische
Reden VI 140.