Ergebniß der Erwägungen für die innere Politik. 65
die deutsche Nation, wenn erst geeinigt, in der Lage sein werde,
ihre innern Verhältnisse nach ihrem Ermessen zu ordnen; daß
unsre gegenwärtige Aufgabe sei, die Nation in diese Lage zu
versetzen: alle diese Erwägungen waren der bornirten und klein-
städtischen Parteipolitik der Oppositionsredner gegenüber erfolg-
los, und die durch sie hervorgerufnen Erörterungen stellten das
nationale Ziel zu sehr in den Vordergrund nicht nur dem Aus-
lande, sondern auch dem Könige gegenüber, der damals noch
mehr die Macht und Größe Preußens als die verfassungsmäßige
Einheit Deutschlands im Auge hatte. Ihm lag ehrgeizige Be-
rechnung nach dieser Richtung hin fern; den Kaisertitel bezeichnete
er noch 1870 geringschätzig als den „Charaktermajor“, worauf
ich erwiderte, daß Se. Majestät die Competenzen der Stellung
allerdings schon verfassungsmäßig besäßen und der „Kaiser“ nur
die äußerliche Sanction enthalte, gewissermaßen als ob ein mit
Führung eines Regiments beauftragter Officier definitiv zum
Commandeur ernannt werde 10. Für das dynastische Gefühl
war es schmeichelhafter, grade als geborner König von Preußen
und nicht als erwählter und durch ein Verfassungsgesetz her-
gestellter Kaiser die betreffende Macht auszuüben, analog wie
ein prinzlicher Regiments-Commandeur es vorzieht, nicht Herr
Oberst, sondern Königliche Hoheit genannt zu werden und der
gräfliche Lieutenant nicht Herr Lieutenant, sondern Herr Graf.
Ich hatte mit diesen Eigenthümlichkeiten meines Herrn zu rechnen,
wenn ich mir sein Vertraun erhalten wollte, und ohne ihn und
sein Vertraun war mein Weg in deutscher Politik überhaupt
nicht gangbar.
3.
Im Hinblick auf die Nothwendigkeit, im Kampfe gegen eine
Uebermacht des Auslands im äußersten Nothfall auch zu revo-
lutionären Mitteln greifen zu können, hatte ich auch kein Be-
1) Näheres s. unten S. 133. 141.
Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. II. 5