Das allgemeine Wahlrecht als Kampfmittel; sein Gegengewicht. 67
an die geheime Einsicht Aller zu Grunde legt, so geräth man
in einen Widerspruch des Staatsrechts mit den Realitäten des
menschlichen Lebens, der praktisch zu stehenden Frictionen und
schließlich zu Explosionen führt und theoretisch nur auf dem
Wege socialdemokratischer Verrücktheiten lösbar ist, deren An-
klang auf der Thatsache beruht, daß die Einsicht großer Massen
hinreichend stumpf und unentwickelt ist, um sich von der Rhetorik
geschickter und ehrgeiziger Führer unter Beihülfe eigner Be-
gehrlichkeit stets einfangen zu lassen.
Das Gegengewicht dagegen liegt in dem Einflusse der Ge-
bildeten, der sich stärker geltend machen würde, wenn die Wahl
öffentlich wäre, wie für den preußischen Landtag. Die größre
Besonnenheit der intelligentern Classen mag immerhin den mate-
riellen Untergrund der Erhaltung des Besitzes haben; der andre
des Strebens nach Erwerb ist nicht weniger berechtigt, aber
für die Sicherheit und Fortbildung des Staats ist das Ueber-
gewicht derer, die den Besitz vertreten, das nützlichere. Ein
Staatswesen, dessen Regiment in den Händen der Begehrlichen,
der novarum rerum cupidi:), und der Redner liegt, welche die
Fähigkeit, urtheilslose Massen zu belügen, in höherm Maße wie
Andre besitzen, wird stets zu einer Unruhe der Entwicklung ver-
urtheilt sein, der so gewichtige Massen, wie staatliche Gemein-
wesen sind, nicht folgen können, ohne in ihrem Organismus
geschädigt zu werden. Schwere Massen, zu denen große Nationen
in ihrem Leben und ihrer Entwicklung gehören, können sich nur
mit Vorsicht bewegen, da die Bahnen, in denen sie einer unbe-
kannten Zukunft entgegenlaufen, nicht geglättete Eisenschienen
haben. Jedes große staatliche Gemeinwesen, in welchem der
vorsichtige und hemmende Einfluß der Besitzenden, materiellen
oder intelligenten Ursprungs, verloren geht, wird immer in eine
der Entwicklung der ersten französischen Revolution ähnliche,
1) Neuerungssüchtige.