70 Einundzwanzigstes Kapitel: Der Norddeutsche Bund.
Fraction ein, die während des Conflicts zeitweise bis auf elf
Mitglieder herabgegangen war und durch die Wahlen am 3. Juli
unter dem Eindruck der ersten Siege vor Königgrätz sich auf
mehr als hundert gehoben hatte. Das Ergebniß würde der
Regirung noch günstiger gewesen sein, wenn die Wahl einige
Tage nach der entscheidenden Schlacht stattgefunden hätte; aber
auch so war es in Verbindung mit der schwunghaften Stimmung
im Lande immerhin geeignet, nicht blos conservativen, sondern
auch reactionären Bestrebungen Hoffnung auf Gelingen zu geben.
Für diejenigen, welche nach der Rückbildung zum Absolutismus
oder doch nach einer Restauration im ständischen Sinne strebten,
war durch die Vergrößerung der Monarchie, durch die parla-
mentarische Situation beim Ausbruch des Kriegs und den un-
geschickten und ehrgeizigen Eigensinn der Führer der Opposition
ein Anknüpfungspunkt gegeben, um die preußische Verfassung
zu suspendiren und zu revidiren. Sie war auf das vergrößerte
Preußen nicht zugeschnitten, noch weniger aber auf die Ein-
schichtung in die zukünftige Verfassung Deutschlands. Die Ver-
fassungsurkunde selbst enthielt einen Artikel (118), welcher, ent-
standen unter dem Eindruck der nationalen Stimmung zur Zeit
der Verfassungsbildung und aus dem Entwurf von 1848 ent-
nommen, zur Unterordnung der preußischen Verfassung unter
eine neu zu schaffende deutsche berechtigte. Es war also eine
Gelegenheit gegeben, mit dem formalen Anstrich der Legalität
die Verfassung und die Bestrebungen der Conflictsmajorität nach
parlamentarischer Herrschaft aus den Angeln zu heben, und dies
lag im Hintergrunde des Bemühns der äußersten Rechten und
ihrer nach Prag abgeordneten Mitglieder.
Eine andre Gelegenheit, den innern Conflict zugleich mit
der deutschen Frage zu erledigen, hatte sich dem Könige dar-
geboten, als der Kaiser Alexander 1863 zur Zeit des polnischen
Aufstands und des Ueberrumpelungsversuchs für den Frank-
furter Fürstencongreß ein preußisch-russisches Bündniß in eigen-