72 Einundzwanzigstes Kapitel: Der Norddeutsche Bund.
Fürstenfamilien führen mußte. In meinem mehre Tage dauern-
den Vortrage vermied ich es, die Seite der Sache zu betonen,
welche für unfre innre Politik von Gewicht gewesen sein würde,
weil ich nicht der Meinung war, daß ein Krieg grade im Bunde
mit Rußland gegen Oestreich und alle Gegner, mit denen wir
es 1866 zu thun bekamen, uns der Erfüllung unfrer nationalen
Aufgabe näher gebracht haben würde. Es ist ja ein nament-
lich in der französischen Politik gebräuchliches Mittel, innre
Schwierigkeiten durch Kriege zu überwinden; in Deutschland
aber würde dieses Mittel nur dann wirksam gewesen sein, wenn
der betreffende Krieg in der Linie der nationalen Entwicklung
gelegen hätte. Dazu wäre vor Allem erforderlich gewesen, daß
er nicht mit der, unklugerweise noch immer von der öffentlichen
Meinung verurtheilten russischen Assistenz geführt wurde. Die
deutsche Einheit mußte ohne fremde Einflüsse zu Stande kommen,
aus eigner nationaler Kraft. Ueberdies hatte der innre Conflict,
von dem der König bei meinem Eintritt in das Ministerium
bis zu dem Entschlusse zur Abdication beeindruckt war, an
Herrschaft über seine Entschließungen erheblich eingebüßt, seit-
dem er Minister gefunden hatte, die bereit waren, seine Politik
offen, ohne Winkelzüge zu vertreten. Er hatte seitdem die
Ueberzeugung gewonnen, daß die Krone, wenn es zum revolu-
tionären Bruche gekommen wäre, stärker gewesen sein würde: die
Einschüchterungen der Königin und der Minister der neuen Aera
hatten ihre Kraft verloren. Dagegen hielt ich in meinen Vor-
trägen mit meiner Ansicht von der militärischen Stärke, die ein
deutsch-russisches Bündniß namentlich im ersten Anlauf haben
würde, nicht zurück.
Die geographische Lage der drei großen Ostmächte ist der
Art, daß eine jede von ihnen, sobald sie von den beiden andern
angegriffen wird, sich strategisch im Nachtheil befindet, auch wenn
sie in Westeuropa England oder Frankreich zum Verbündeten
hat. Am meisten würde Oestreich, isolirt, gegen einen russisch-