Full text: Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung. Erster Band (A-K). (1)

236 
Bernsteinwerke der Firma Stantien & Becker 
zu Königsberg vom Staat angekauft. Sie 
werden seitdem vom Staat in eigener Regie 
unter einem Direktor (Direktion der Bern- 
steinwerke in Königsberg) betrieben. 
Bertillonsches Verfahren ist ein vornehm- 
lich für die gerichtliche Polizei, insbesondere 
für den Erkennungsdienst wertvolles, von 
dem Franzosen Bertillon begründetes Ver- 
fahren, welches durch eingehende Messungen 
besonders charakteristischer und im allgemeinen 
wenig veränderlicher Körperteile die Feststel- 
lung festgenommener Verbrecher oder verdäch- 
tiger Personen wesentlich erleichtert und durch 
seine internationale Verbreitung und, da in 
den Hauptstädten der meisten Kulturstaaten 
die gleichen Alaße genommen und die auf- 
genommenen Mleßkarten nach denselben Grund- 
sätzen in die Sammelkästen eingeordnet wer- 
den, eine große Bedeutung erlangt hat. Ge- 
messen werden namentlich gewerbsmäßige 
Verbrecher oder des gewerbsmäßigen Ver- 
brechertums Verdächtige sowie infolge gericht- 
licher Bestrafung Ausgewiesene, sodann Per- 
sonen, bei denen mit Grund vermutet wird, 
daß sie sich falsche Ramen beilegen, Personen, 
die wegen Vergehen gegen das Eigentum fest- 
genommen sind und von denen vermutet wird, 
daß sie auch in Zuhunft das Interesse der 
Sicherheitsbehörden auf sich ziehen werden, 
Personen, die als Landstreicher bekannt, 
der gewerbsmäßigen Bettelei überführt oder 
dringend verdächtig, sowie die wegen Dieb- 
stahls vorbestraft oder in Untersuchung gewesen 
sind (Erl. vom 10. Juni 1899). 
Für die Einordnung der Meßkarten wer- 
den folgende Registriermaße zugrunde ge- 
legt: 1. Kopflänge, 2. Kopfweite, 3. Mittel- 
lingerlänge. 4. Fußlänge, 5. Unterarmlänge, 
6. Kleinfingerlänge, 7. Jochbeinbreite, 8. Augen 
(nach der in der IJris vorhandenen Farbstoff- 
menge). Aeuerdings ist ein automatischer BRe- 
gistrierapparat erfunden worden, durch welchen 
Schreibfehler vermieden werden. In neuerer 
Zeit ist dem Meßverfahren die Daktylo- 
skopie an die Seite getreten, welche in vieler 
Beziehung vor dem Meßverfahren den Vorzug 
verdient. Sie beruht auf der Wahrnehmung, 
daß auf der Innenseite der menschlichen, nach 
allen Richtungen hin von Linien durchzogenen 
Hand neben den durch Offnen und Schließen der 
Hand entstehenden groben Furchen weit zahl- 
reichere unauffällige Linien vorhanden sind, 
welche an den Fingerköpfen eigenartige Muster 
zeigen, die bei den einzelnen Mienschen ver- 
schieden sind und sich nicht verändern. Man 
hat diese Muster nach verschiedenen charakte- 
ristischen Merkmalen in Gruppen geteilt und 
gefunden, daß diese sich auch bei grober Hand- 
arbeit wenigstens nicht ganz verändern, sich 
nur schwer zerstören lassen, sich wieder bilden 
und auch bei Leichen noch lange nachweisbar 
sind. Durch Abnahme von Abdrücken wird 
es möglich, die Persönlichkeit von Kindheit an 
zu registrieren und damit ein besonders zu- 
verlässiges Erkennungsmittel zu schaffen, das 
auch durch geringe Kostspieligheit sowie Unab- 
hängigkeit von bestimmten Aufnahmestellen und 
von besonderen Instrumenten sich auszeichnet. 
  
Bertillonsches Verfahren — Berufsgenossenschaften. 
Die Befugnis der Polizeibehörden zur Auf- 
nahme nach dem Bertillonschen Meßverfahren 
und auf dem Wege der Daktyloskopie ergibt 
sich nach dem Urt. des RSt. 32, 199 aus 
der gesetzlich anerkannten Obliegenheit der 
Polizei, die nötigen Anstalten zur Erhal- 
tung der öffentlichen Sicherheit zu treffen 
(AL. II, 17 §10), und steht auf gleicher Stufe 
mit anderen Signalementsaufnahmen, sofern 
sie sich von dem Charakter Börperlicher Miß- 
handlung fern hält. 
Berufsgenossenschaften. I. Allgemeines. 
B sind Träger der Unfallversicherung. In ihnen 
sind zwecks Durchführung der Versicherung auf 
Gegenseitigkeit die Unternehmer aller Betriebe, 
für welche die betreffende B. errichtet ist, ver- 
einigt. Dabei folgen Nebenbetriebe dem Haupt- 
betriebe (GU VW. § 28 Abs. 2; LUB. 81 
Abs. 2, 3; BU V. 8§ 12 Abs. 2; SUVö. F 1 
Abs. 2). Eine Ulbersicht der bestehenden B. 
ist in den A#. 18, 423 veröffentlicht. Es 
werden gewerbliche und landwirtschaftliche B. 
unterschieden. Von ersteren bestehen zurzeit 
66, von letzteren 48. Unter den gewerblichen 
B. hat die Tiefbau= und Seeunfallversicherung 
eine besondere gesetzliche Regelung erfahren. 
Die B. können unter ihrem Namen Rechte 
erwerben und Verbindlichkeiten eingehen, vor 
Gericht klagen und verklagt werden. Für ihre 
Verbindlichkeiten haftet den Gläubigern nur 
das Genossenschaftsvermögen (GlV. 8 28 
Abs. 5, 6; LUVG. 8 33 Abs. 4, 5; BU . 8 14; 
UVS. § 32 Abs. 4, 5). Die B. haben bei 
Unfällen, die sich in den Betrieben ihrer Wit- 
glieder ereignen, die Entschädigungen (s. Un- 
fallversicherung) zu leisten. 
Unfälle in fremden Betrieben hat die B. 
dann zu entschädigen, wenn sich diese Unfälle 
bei Betriebshandlungen ereignen, zu welchen 
ein der B. angehörender Betriebsunternehmer 
den Auftrag gegeben und für welche er die 
Löhne zu zahlen hat (GU#V. 8§ 28 Abk. 4; 
LU BWG. 8§ 33 Abs. 3; BU VW. 8 7; SUS. 
§ 32 Abs. 3; Al. 18 S. 181, 183; 19 S. 347, 
383; 20, 195). -eben den B. bestehen für die 
Durchführung der Unfallversicherung Versiche- 
rungsanstalten (s. Bauunfallversicherung 
und Seeunfallversicherung) und Aus- 
führungesbehörden (s. d.). 
II. Mitgliedschaft. Mitglied der B. ist 
jeder Unternehmer eines Betriebs derjenigen 
Gewerbszweige, für welche die B. errichtet ist, 
sofern der Betrieb im Bezirke der B. seinen 
Sitz hat. Die Mitgliedschaft beginnt mit dem 
Zeitpunkte der Eröffnung des Betriebes oder 
des Beginns der Versicherungspflicht ((. d.). 
Stimmberechtigt ist jedes Mitglied, das sich 
im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befindet. 
Die Feststellung der Mitgliedschaft ist bei den 
einzelnen Arten der Unfallversicherung (s. d.) 
verschieden. 
1. Gewerbliche B. und Tiefbauberufs= 
genossenschaften. Jeder Unternehmer eines 
versicherungspflichtigen Betriebes ist verpflichtet, 
binnen einer Woche, nachdem er Mitglied einer 
Genossenschaft geworden ist, der unteren Ver- 
waltungsbehörde, in deren Bezirke der Be- 
trieb belegen ist, eine Anzeige in zwei Exem- 
plaren zu erstatten, welche a) den Gegenstand
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.