Full text: Das Deutsche Reich zur Zeit Bismarcks.

Die Volksstimmung. Die Gesetze Falls im Herrenhause. 87 
Glauben und Unglauben; es handelt sich um den uralten Machtstreit, der so alt ist wie das 
Menschengeschlecht, um den Machtstreit zwischen Königtum und Priestertum, den Maochtstreit, 
der viel älter ist als die Erscheinung unseres Erlösers in dieser Welt. Dieser Machistreit erfüllt 
die deutsche Geschichte des Mittelalters bis zur Zersetzung des Deutschen Reiches unter dem Na- 
men der Kämpfe der Päpste mit den Kaisern und fand seinen Abschluß damit, daßt der letzte 
Vertreter des erlauchten schwäbischen Kaiserstammes unter dem Beile eines französischen Erobe- 
rers auf dem Schafott starb, und daß dieser französische Eroberer im Bündnis mit dem damaligen 
Papste stand. Wir sind einer gleichartigen Lage sehr nahe gewesen, übersetzt immer in die Sitten 
unserer Zeit. Wenn der französische Eroberungskrieg, dessen Ausbruch mit der Verkündung 
der vatikanischen Beschlüsse zusammensiel, erfolgreich war, so weiß ich nicht, was man auch auf 
unserem kirchlichen Gebiete in Deutschland von den gestis Dei per Francos zu erzählen haben 
würde ... Das Papsttum ist jederzeit eine politische Macht gewesen, die mit der größten Ent- 
schiedenheit und mit dem größten Erfolge in die Berhältnisse dieser Welt eingegrissen hat. Das 
Ziel, welches der päpstlichen Gewalt ununterbrochen vorschwebte, ist die Unterwerfung der welt- 
lichen Gewalt unter die geistliche .. Der Kampf des Priestertums mit dem Königtum, der 
Kampf in diesem Falle des Papstes mit dem deutschen Kaiser, ist zu beurteilen wie jeder andere 
Kampf: er hat seine Bündnisse, seine Friedensschlüsse, seine Haltepunlle, seine Wassenstiltstände. 
Er unterliegt denselben Bedingungen, wie jeder andere politische Kampf, und es ist eine Verschie- 
bung der Frage, die auf den Eindruck auf urteilslose Leute berechnet ist, wenn man sie darstellt, 
als ob es sich um Bedrückung der Kirche handelte. Es handelt sich um die Verteidigung des 
Stoates, um die Abgrenzung, wie weit die Priesterherrschast und wie weit die Königsherrschaft 
gehen soll, und diese Abgrenzung muß so gefunden werden, daß der Staat seinerseits dabei be- 
stehen kann. Denn in dem Reiche dieser Welt hat er das Regiment und den Vortritt.“ 
Den Ministern Noon und Falk hatte der Erzbischof von Posen, Graf Ledochowoki, 
unfreiwillig die schneidigste Wasse zu ihren Reden gegen die herrenhäuslichen Wider- 
sacher geliefert. Denn beide Minister konnten die Notwendigkeit der von ihnen befür- 
worteten Gesetzesvorlagen am besten darthun an dem Vefehl dieses „polnischen“ 
Kirchenfürsten an seine Diözese: jener Ministerialversügung keinen Gehorsam zu leisten, 
wonach der Religionsunterricht in den höheren Lehranstalten der Provinz Posen nur 
in deulscher Sprache erteilt werden dürse. Diese Thatsache wirkte. Am 13. März 
nahm das Herrenhaus die Verfassungsänderung mit 93 gegen 63 Stimmen an; bei 
der Schlußabstimmung am 4. April mit 87 gegen 53 Stimmen. Am 5. April schon 
wurde das vom Kaiser vollzogene Gesetz verkündet. 
Zuerst hatte Herr von Sensst-Pilsach, einer der Führer der junkerlichen Regierungs- 
gegner, am 4. April vergebens versucht, die seinen ultramontanen und politischen 
Freunden mißliebige Verfassungsäuderung unter dem Vorwand hinauszuschieben, daß 
das Haus sich erst noch mit den vielen die Sache betressenden Petitionen vertrunt 
machen müsse. Jetzt drohte dagegen der am 19. Februar gesaßte Beschluß einer Vor- 
beratung der vier Gesetze Falks durch eine Kommission diesen Gesetzen verhängnisvoll 
zu werden. Denn die gut-junkerliche Mehrheit der Kommission hatte seither erst ein 
einziges dieser Gesetze durchberaten und bis zur Unkenntlichkeit versiümmelt. Wann 
die übrigen drei Gesetze aus diesem seudalen Fegefeuer erlöst sein würden, konnte nie- 
mand sagen, nicht einmal die „Krenzzeitung“. So slellte denn der liberale Exminister
	        
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