Verkündung der Maigesetze. Briefwechsel zwischen Kaiser und Papst. 89
gebung und Verfassung des Staates ihr verleiht, nicht anerkennen, ohne die Gothheit
Christi und die Göttlichkeit seiner Lehre und Stiftung zu leugnen, ohne das Christen-
tum selbst von der Willkür der Menschen abhängig zu machen.“ Von der Regierung
erhielten die Herren keine Antwort. Diese handelte entschlossen nach dem Gesetz.
Wenn die ultramontane Partei Deutschlands irgendwelche Beziehungen zum
römischen Stuhle unterhielt, was doch anzunehmen war, so dankte der Unfehlbare
jedenfalls dieser seiner deutschen Leibgarde in erster Linie die seltsame Vorstellung, daß
der kirchliche Kampf in Demschland sich sofort beilegen lasse, wenn der Papst nur ein-
mal an den Kaiser schrieb. Dieser Quelle dankte dann Pins IX. wahrscheinlich auch
die noch thörichteren Einbildungen, welche in dem Briefe des Papstes an den
Kaiser vom 7. August 1873 hervortraten. Denn in diesem Schreiben stellte der
Papst gleich an die Spitze den höflichen Ausspruch:
„Sämtliche Maßregeln, welche seit einiger Zeit von Eurer Majestät Regierung ergriffen
sind, zielen mehr und mehr auf die Vernichtung des Katholizismus ab... Ursachen für diese
sehr harten Maßregeln“ vermag der Papst „nicht aufzufinden... Anderseits wird mir mitge-
teill“, fährt er fort, „daß Eure Majestät das Verfahren Ihrer Regierung nicht billigen und die
Härte der Maßregeln wider die katholische Religion nicht gutheißen. Wenn das wahr ist, werden
dann Eure Majestät nicht die Uberzeugung gewinnen, daß diese Maßregeln leine andere Wirkung
haben, als diejenige, den eigenen Thron Eurer Majestät zu untergraben? Ich rede mit Freimut,
deun mein Panier ist Wahrheit, und ich erfülle meine Pflicht, allen die Wahrheit zu sagen, auch
denen, die nicht Katholiken sind. Denn jeder, welcher die Tause empfangen hat, gehört in irgend
einer Beziehung oder auf irgend eine Weise dem Papste au.“
Der Kaiser antwortete am 3. September. Nachdem er seine Freude bekundet,
von Seiner Heiligkeit „wie in früheren Zeiten“ mit einem Schreiben geehrt zu werden,
erklärte er „um so mehr erfreut zu sein, als Mir dadurch die Gelegenheit zu teil wird,
Irrtümer zu berichtigen, welche in den Ihnen über deutsche Verhältnisse zugegangenen
Meldungen vorgekommen sein müssen.“
„Wenn diese Berichte nur Wahrheit meldeten, so wäre es nicht möglich, daß Eure Heiligkeit
der Vermutung Naum geben könnten, daß Meine Regierung Bahnen einschtägt, welche Ich nicht
billige. Nach der Verfassung Meiner Staaten kann ein solcher Fall nicht eintreten, da die Gesetze
und Regierungsmaßregeln in Preußen Meiner landesherrlichen Zustimmung bedürfen. Zu Mei-
nem tiefen Schmerze hat ein Teil Meiner katholischen Unterthanen seit zwei Jahren eine politische
Partei organisiert, welche den in Prcußen seit Jahrhunderten bestehenden konfessionellen Frieden
durch staatsseindliche Umtriebe zu stören sucht. Leider haben höhere katholische Geistliche diese
Bewegung nicht nur gebilligt, sondern sich ihr bis zur ossenen Auflehnung gegen die bestehenden
Landesgesetze angeschlossen.“ Nachdem der Kaiser dic „Wahrnehmung Seiner Heiligkeit“ darauf
hingewiesen, „daß ähnliche Erscheinungen sich gegenwärtig in der Mehrzahl der enropäischen und
in einigen überseeischen Staaten wiederholen“, und als seine königliche Ausgabe betont hat, „den
inneren Frieden zu schützen und das Ausehen der Gesetze zu wahren“, sährt er sort: „Ich gebe
mich gern der Hoffnung hin, daß Eure Heiligkeit, wenn von der wahren Lage der Dinge unter-
richtet, Ihre Antorität werden anwenden wollen, um der unter bedauerlicher Entstellung der
Wahrheit und unter Mißbrauch des priestertichen Ansehens betriebenen Agitation ein Ende zu
machen. Die Religion Jesu Christi hat, wie Ich Eurer Heiligkeit vor Gott bezeuge, mit diesen
Umtrieben nichts zu thun, auch nicht die Wahrheit, zu deren von Eurer Heiligkeit angerusenem