Der Rücktrilt Detbrücks. 175
glaube in der Lage zu sein, „alles, was dieser Kollege für ihn etwa bestimmen sollie, zu geneh-
migen. Und wenn Meinungsverschiedenheit zwischen uns wäre, so würde ich noch zweifelhaft sein,
ob er die Sache nicht beiser verstanden hat als ich, und würde unter Umständen seinem Urteil
mich fügen.“ — Am 21. Februar 1879 sagte Bismarck im Reichstag gegen Richter: „Wenn ich
für eine Aufgabe, wie die Befestigung des Deutschen Reiches, um die Mitwirkung eines Staats-
mannes von der Bedentung Delbrücks mich bewarb, so liegt doch klar, daß ich damit nicht den an-
maßlichen Anspruch verbinden konnte, daß Delbrück die wirtschaftlichen Geschäfte, in denen er
die erste Autorität in ganz Dentschland war, nach meiner Leitung und meiner Anweisung führen
sollte. Vielmehr überließ ich mich vertrauensvoll seiner Führung und bin auch weit entifernt zu
sagen, daß ich dieses Vertrauen berene. Die mächtige Hilfe, welche die Mitwirkung einer Kraft,
wie die des Herrn Delbrück, der ersten Einrichtung des Reichs gewährt hat, war durch nichts
anderes zu ersetzen. Wir hatten keinen Mann von seiner Bedentung. Es ist ja ganz zweifellos,
daß ich mitunter in wirtschaftlichen Fragen nicht der Ansicht Delbrücks gewesen bin; ich vermnte,
daß ich in den meisten Fällen nachgegeben habe, weil ich an meiner Meinung gern Opser brachte,
um seine so ungewöhnlich bedeutende Mitwirkung der Sache, der ich diente, zu erhalten.“ Am
1. Dezember 1881 endlich bemerkte Bismarck im Reichskag, er habe sich in das wirtschastliche
Fach, solange es in der Hand Detbrilcks war, nicht gemischt. „Über seine Geschäftsführung be-
stand zwischen uns kein Meinungsstreit, und meine Anerkennung seiner Antorität war so groß,
daß die wesentlichen Zweisel, welche bei mir zu keimen begannen, ob wir auf dem richtigen Wege
wären, von mir unterdrückt wurden gegenüber der Bedentung und technischen Uberlegenheit die-
ses Mitarbeilers, auf den ich nicht gern verzichten wollte.“
Dieses Verhältnis der Abhängigkeit, ja der Unterordnung Bismarcks unler Del-
brücks Meinung änderte sich jedoch von der Mitte der siebziger Jahre an. Zunächst
begann Bismarck seit dieser Zeit in der Handels= und Zollpolitik sich seine eigene Mei-
mung zu bilden, die kurz dahin ging, daß Deutschland sich dem Schutzzollsystem der
Nachbarstaaten anschließen müsse, um seine nationale Arbeit vor dem Untergang zu
schützen, und daß dieser Ubergang ohne schwere wirtschaftliche Nachteile nicht verzögert
werden dürfe. Aus dieser seiner von Tag zu Tag sich mehr befestigenden Uberzeugung
hat Bismarck Delbrück gegenüber sicherlich kein Hehl gemacht, wenn auch Meinungs-
verschiedenheiten zwischen beiden Staatsmännern nie an die Offentlichkeit getreten sind
und sich auch in den Ministerialakten keine Spur davon findet. Aber wie Poschinger
tressend bemerkt, deutet gerade das Fehlen solcher Konfliktsakten mit Bestimmt-
heit an, daß, sowie sich einmal innere Meinungsverschiedenheiken zwischen diesen
beiden Staatsmännern erhoben, ihnen auch nur die Trennung übrigblieb. Denn
„Stkreitschriften pflegen zwischen Ministern nur dann gewechselt zu werden, wenn
einer hossen kann, den Kollegen zu überzeugen. Der Fall war hier ausgeschlossen;
Bismarck wußte, daß Delbrück ihm nie in das Lager der Schutzzöllner folgen
werde“. Delbrück war ja eine so maßvolle und realpolitische Natur, daß er auch
einer gemäßigten Schutzzollpolitik zugestimmt haben würde, wenn er sie für Deutsch-
land als notwendig erkannt und für praklisch gehalten hätte. Er hat wiederholt
mit Nachdruck erklärt, er lasse sich in seiner Wirtschaftspolitik nicht von theoretischen
Lehrmeinungen, sondern nur von prakkischen Bedürsnissen leiten, und diese könn-
ten unter Umständen wohl dazu führen, die Zollbarrieren des Deutschen Neiches wie-