176 I, 10. Der innere Ausbau des Reiches. Volkswirtschaftl. Entwickelung u. Gesetzgebung.
der etwas zu schließen. So sprach er sich im Reichstag sowohl bei der Beratung der
Jollnovelle am 20. Juni 1873 als am 7. Dezember 1875 (gleichfalls im Reichs-
tag) dem Abgeordneten Löwe (Bochum) gegenüber aus, welcher von der völligen Auf-
hebung der Eisenzölle mit dem 1. Jannar 1877 eine Notlage der deutschen Eisen-
industrie weissagte. Auch noch nach seinem Ausscheiden aus dem Amte, in dem
Schreiben vom 26. Juni 1878, in welchem Delbrück die ihm vom Verein reichs-
treuer Wähler in Jena angetragene Reichstagskandidatur annahm, erklärte er, daß
er „seine Stellung zu den Fragen der Handelspolitik, den bewährten Uberlieserungen
des Zollvereins gemäß, nicht auf dem Grunde theoretischer Auffassungen nehme,
sondern aus den durch langjährige Ubung gewonnenen Erfahrungen und aus der
Würdigung der geschichtlich entwickelten wirklichen Verhältnisse“. Aber trotz dieser
grundsätzlichen Bereitwilligkeit Delbrücks zur Einschränkung des Freihandelssustems
zeigt seine spätere Opposition gegen Bismarcks Zoll= und Handelspolitik im Reichstage
doch deutlich, daß er sich mit dem Kanzler über das Maß dessen, was zum „Schutze
der nationalen Arbeit notwendig“ und „praktisch“ sei, nie geeinigt haben würde.
Auch auf dem Gebiete der Steuerpolitik gingen die Ansichten der beiden Staats-
männer je länger je mehr auseinander. Delbrück machte Bismarck gegenüber geltend,
sagt Poschinger: „Es kommt gar nicht darauf an, wieviel aus Zollgesällen eingeht.
Das Wesentliche ist, daß sowohl die Verzehrer als die Erzeuger von Waren ihre
Bedürfnisse da kaufen können, wo sie am billigsten sind; dadurch steigt die Aus-
fuhrfähigkeit und die Kaufkraft im Innern. Wenn sich nun trotz dieser letzteren offen-
baren Vorteile die Zollerträge um 56 Prozent auf den Kopf erhöhten, so lag hierin
scheinbar ein nicht zu leugnender Erfolg. Aber Bismarck ließ sich durch diese Zahlen
nur so lange blenden, als die wirtschaftliche Lage nichts zu wünschen übrigließ. Als
aber der geschäftliche Niedergang eingetreten war, da kam es zwischen beiden Staats-
männern zu Meinungsverschiedenheiten über den volkswirtschaftlichen Wert der er-
höhten Wareneinfuhr. Bismarck wollte nur diejenige Einfuhr als vorteilhaft gelten
lassen, welche dem Staat sowohl als dem Einzelnen Vorteil brächte; in anderem Falle
war die Einfuhr in seinen Augen totes Kapital. Die gewaltige Zunahme der Einfuhr
hatte nach seiner Aussassung den Produzenten vieler Zweige nur Verlegenheiten ge-
bracht, zumal sie ihre eigenen Erzeugnisse nicht unter gleich günstigen Bedingungen
ausführen konnten.“
Das Gesamtergebnis über die Beweggründe Delbrücks zum Rücktritt saßt
Poschinger in den Worten zusammen: „Delbrück trennte sich von Bismarck, weil
er voraussah, daß es mit ihm aus Anlaß der handelspolitischen, bez. der wirtschaft-
lichen Fragen unvermeidlich zum Bruch kommen werde, und weil er die Anzeichen
einer neuen Nra, die ihn später doch gleich Camphausen hinweggespült hätte, täglich
beobachten konnte. Die Meinungsverschiedenheiten mit dem Chei werden häusiger
als früher aufgetreten sein, der Kanzler wird seine Ausicht zäher vertreten haben als
ehedem; Männer von der anderen Nichtung, wie von Kardorss, von Varubüller,
wird er häusiger und intimer in seinen Verkehr gezogen haben; die Vorträge werden
seltener und weniger vertrauensvoll geworden sein.. Jür Delbrück war jetzt die