254 1I. 14. Die Sozialdemokralie bis 1878.
Zu den vertrautesten Genossen von Karl Marr während der Londoner Erilzeit
gehörte (neben Engels, Wolff, Eccarius u. a) Wil helm Liebknecht. Diese Gesellschaft
hieß die „Schweselbande“. Sie schente vor nichts zurück, wenn es galt, zu hetzen,
Haß, Neid und Gift gegen Preußen und das wiedererwachende deutsche National-
gesühl zu säen. Namentlich bediente sich Liebknecht zu diesem Zwecke der damals von
Osterreich besoldeten preußenfeindlichen „Angsburger Allgemeinen Zeitung“ um so
lieber, als diese solche Leistungen gut bezahlle. Liebknecht hatte 1848 und 1849 überall
mitgemacht, wo eine Revolnkion oder auch nur ein Putsch in Aussicht stand, und
namentlich an der badischen und pfälzischen Nevolution sich so lange behaglich beteiligt,
als es keine preußischen Hiebe gab. Dann floh er in die Schweiz und später nach Lon-
don. Von der Geschichte und dem ungeheuren Wandel der deutschen Dinge seit 1818
hat Liebknecht nichts gelernt. Er hat nie einen eigenen Gedanken gehabt. Gelernt hat
er nur die Gedanken und Worle, welche Marr von sich gegeben hat, als angebliche
Zaubersormeln für die Erlösung der Welt. Diese Ossenbarungen, welche Marr in
einem der Schreibweise der junghegelschen Schule nachgebildeten Kanderwelsch ver-
faßt hatte, übertrug Liebknecht in die ihm gelänsige Sprache des gemeinen Mannmes.
Gelernt hat er von seinem Herrn und Meister Karl Marx weiter, vor keinem Minel
der Verleumdung und Verhetzung zurückzuschrecken, um die Massen für sein Ziel zu
gewinnen. Seine Hauptarbeit ist aber allezeit gewesen, dem ehrlichen deutschen Arbeiter
die Liebe zu seinem Vaterlande aus dem Herzen zu reißen.
Den Erlaß der deulschen Amnestie bei jenem preußischen Regierungswechsel,
welcher den König Wilhelm 1861 auf den Thron brachle, benntzte Liebknecht 1862,
um nach Deutschland zurückzukehren. Er gründete zunächst in Berlin mit Braß
und Schweichel ein republikanisches Organ, die „Norddentsche Allgemeine Zeitung“,
trennte sich aber alsbald von dem Blatte wieder, als er merkte, daß sein Mitarbeiter
Braß in das Lager der Negierung übergegangen sei. 1865 wurde Liebknecht aus
Preußen ausgewiesen und ging nach Leipzig, wo zwar für soziale und namentlich
kommunislische Agitation vorläusig noch gar lein Boden war, dagegen unter dem Re-
gime des Herrn von Beust der Preußenhaß Liebknechts sich in der „Mitteldenischen
Volkszeitung“ ungestraft austoben konnle. Auch verstand er im Leipziger Arbeiter-
bildungsverein sich einzunisten, der bis dahin treu zur liberalen und nationalen Fahne
gehalten hotte und namentlich den Führer des maßvollen Liberalismus in Leipzig,
Prosessor Dr. Karl Biedermann, zu seinen Lehrern und Beratern zählte.
An der Spitze dieses Vereins stand Angust Bebel; bis zum Spätsommer 1865,
da er Liebknecht kennen lernte, ein bescheidener, schlichter Arbeiter (Drechsler) und
namentlich ein gut deutsch gesinnter Mann; wohl sogar katholisch= fromm, denn er
stammte von katholischen Eltern in Köln und war, ehe er nach Leipzig kam, Agitator
der katholischen Gesellenvereine im Salzburgischen gewesen. Vermöge seiner unge-
wöhnlichen Gaben war Bebel der Liebling und Führer der Arbeitervereine, welche
auf dem Boden des Leipziger Vereins standen und allen Lockungen der Lassalleaner
wie der Demokraten von Prosessor Noßmäßlers Färbung widerstanden hatten. Bebel
besaß somit sehr viel, was Liebknecht völlig abging: er war selbst Arbeiter und sein