Full text: Das Deutsche Reich zur Zeit Bismarcks.

Liebknecht. Bebel. Die „Eisenacher Ehrlichen“. Lieblnechls Dillatur. 255 
Wort daher dem Arbeits= und Standesgenossen unverdächtig und in Ehren. Er besaß 
serner die Gabe der packenden und erwärmenden Rede in hohem Grade. Seine An- 
schanungen und Gefühle deckten sich genau mit denen der Genossen. Endlich hatte 
er einen Anhang von Tausenden in Deutschland hinter sich. 
In jahrelanger zäher Arbeit gelang es nun Liebknecht, diesen Mann zuerft mit 
Mißtrauen und Haß gegen Preußen und die deutsche Sache zu erfüllen und ihn dann 
vollständig und widerstandslos in die kommnunistischen Träume einzuspinnen, in wel- 
chen Liebknecht selbst lebte. Bebels Reden und Programme in den Jahren seiner 
Umwandlung beweisen das deutlich. Sie triefen von „Forderungen der Demokratie“ 
(Bebels Vereine nennen sich von 1866 an „die demokratische Partei“), aber die 
soziale Frage wird kaum gestreift. Ja, noch im konstituierenden Reichstag des Nord- 
deutschen Bundes, Frühjahr 1867, in welchen Bebel von Glauchau gewählt wurde, 
sprach er kein Wort von der sozialen Frage und erklärte sogar entrüstet auf eine Be- 
merkung Laskers: er habe mit der sozialistischen Bewegung nicht das Geringste zu 
schaffen. Auch damals war also Bebels Wandlung zum Kommunisten noch nicht 
vollzogen. Dagegen war dies 1868 unzweifelhaft geschehen, als sich der „Vereins- 
tag“ der von Bebel geleiteten Arbeitermasse in Nüruberg für die komnmnistischen 
Grundsätze der von Marx gegründeten „Internationale“ (des internationalen Arbeiter- 
bundes) erklärte. Jm August 1869 nahm diese Vereinigung zu Eisenach den Namen 
Sozialdemokratische Arbeiterpartei und mit diesem ein Programm an, welches in 
allen Hauptpunkten wortgetreu dem Marrschen Statut für den internationalen Kom- 
munistenbund entspricht. Die Anhänger dieser Partei wurden auch die „Eisenacher“ 
genannt oder (wie sie selbst sich gern bezeichneten) „die Ehrlichen“. 
Im August 1867 waren Bebel und Liebknecht beide in den Reichstag gewählt 
worden, und ihre Namen sind seither als Führer der sozialdemokratischen Bewegung 
jast untrennbar miteinander verbunden. Aber ihre Bedentung in der Partei selbst 
entspricht durchaus dem soeben geschilderten Hergang der vollständigen Unterwerfung 
Bebelr unter Liebknechts kommunistische Anschauungen und Plänec. Bebel ist durch- 
aus nicht, wie man häusig annehmen hört, vermöge seiner größeren natürlichen 
Begabung das geistige Haupt, der lenkende Wille der Partei. Vielmehr ist Bebel, 
solange er auf sozialdemokratischen Bahnen wandelt, immer nur ein geistiges Geschöpf 
Liebknechts gewesen und wird es immer bleiben. Dieser Nährvater seines Geistes hat 
auch sein Mesen von Grund aus verwandelt. Bebel ist heute ein so wüster und leiden- 
schaftlicher Fanatiker wie Liebknecht. Beiden sind alle Mittel zum Ziele recht; nament- 
lich auch jede Unwahrheit, Vertuschung, Beschönigung, welche ihrer Partei oder Sache 
dienlich scheint. 
Die Organisation dieser Partei aber, von dem 1868er Vereinstag in Nürnberg 
au bis zum letten ihrer Parteikongresse in Berlin im November 1892, ist stets so be- 
schaffen gewesen, um Herrn Liebknecht die unumschränkte Leitung der Partei zu sichern. 
An dem holden Schein eines oder mehrerer Kontroll= und Leitungsausschüsse hat 
es ja nie gefehlt. Aber niemals hat irgend eins dieser Scheinwesen Liebknechts 
Diktatur irgendwie beschränken können. Die Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit 
 
	        
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