Full text: Das Deutsche Reich zur Zeit Bismarcks.

8 I. 1. Kaiser und Rcich. 
Begräbnisakt des bayrischen Selbstwohles“ zu vollziehen, wie diese politische Richtung 
schon Ende 1867 die Schutz= und Trutzbündnisse mit Preußen genannt hatte, geschweige 
denn nunmehr den vollen Beitritt Bayerns zum Deutschen Reiche. Bestand die bay- 
rische Zweite Kammer doch noch aus derselben Mehrheit, welche in den Jubelwochen 
ihres Wahlsieges 1869 den weisen nationalen Ministerpräsidenten Hohenlohe gestürzt 
hatte, und deren Führer sich nach diesem Erfolge nicht schämten, den französischen 
Gesandten in München zu ermächtigen, dem Kaiser Napoleon nach Paris zu telegra- 
phieren: „jetzt werde Bayern im Kriegsfall nicht mehr mit Preußen marschieren, son- 
dern neutral bleiben“. Hatte doch dieselbe Mehrheit selbst in der brausenden natio- 
nalen Hochflut der Julitage von 1870 eine Zeitlang gezandert, den Bündnisfall der 
Verträge von 1866 anzuerkennen, hatte sie doch Redner auszuweisen gehabt, welche 
die vaterlandslose Schmach begingen, in deutscher Sprache, am Vorabend des Volks- 
krieges Ganzdeutschlands, dem Vaterlande die Waffenhilse Bayerns zu verweigern. 
Wäre unn, zu Ende des Jahres 1870, auch nur eine Ahnung der Gedanken von ge- 
waltsamer Heranziehung Bayerns zum Reiche, welche in jenen Tagen den Natgebern 
des deutschen Kronprinzen nicht fremd waren, nach München gedrungen und vollends 
gar in Gestalt von Plänen, welche Graf Bismarck teile, so hätte die Empörung über 
diesen „Dank von Preußen“ nicht bloß die bayrische Kammermehrheit vollständig 
beherrscht, sondern sie wäre zweifellos in die weitesten bayrischen und süddentschen 
Volkskreise gedrungen und hätte, mindestens in Bayern und Württemberg, sicher zu 
einer Verwerfung der Verträge geführt. Und für Jahrzehnte hätte diese Empörung den 
„latenten Bürgerkrieg“", ein „Welsentum von 10 Millionen Süddentschen“ erzeugt. 
Weit entfernt von jedem Drängen und Druck gegen Bayern, hatte der König 
Wilhelm von Preußen vielmehr sogar mit der Annahme der Kaiserkrone bis zum 
18. Jannar 1871 gezögert, weil die bayrischen Kammern das Einigungswerk noch 
nicht genehmigt hatten. Deshalb konnte auch in der entscheidenden Schlußsitzung der 
bayrischen Abgeordnetenkammer am 21. Jannar der Kriegsminister von Prankh, 
ebenso wie früher von Lucz, versichern. 
„Uns btieb nur der Beikrikl übrig, für welchen wir nun die möglichsten Modisikalionen der 
Nordbundverfassung zu erreichen strebten. Dies führle zum Ziel. Ich will Ihnen mitteilen. 
was damals Graf Bismarck sagie: „Wir wollen kein verstimmtes, wir wollen ein freiwilliges 
Bayern.“ Dies war der rote Faden, welcher sich durch die Verhandlungen zog; ihr Ergednis 
licgt jetzt vor. Opfer allerdings an den Rechten der Krone wie der Volksvertrelung fordert das 
Bundesverhältnis von uns; dies aber ist die unabweisliche Folge eines jeden Bundesverhält. 
nisses: entweder wollen Sie keinen Bund, oder Sie wollen einen folchen; im leyzteren Fall 
müssen Sie sich zu Opfern eulschließen.“ 
Die bayrische Verfassung forderte, daß eine Zweidrittelmehrheit der Kammern 
der Verfassungsänderung zustimmte, welche durch die Annahme der Verträge herbei- 
gesührt wurde. Aber nun fand sich diese Zweidrittelmehrheit auch in der Zweiten bay 
rischen Kammer. Denn am 21. Jannar stimmten 102 gegen 48 Abgeordnete für 
die Verträge. 32 Klerikale waren von ihrer Partei abgefallen und stimmten mit den 
70 Liberalen. Als der Präsident Dr. Weis, selbst ein Klerikaler, am Schlusse der