Full text: Das Deutsche Reich zur Zeit Bismarcks.

Nobilings Attentat. Reichskagsauflöfsung. Neuwahlen vom 30. Juli 1878. 273 
Diese Schandthat konnte also der Nichter nicht mehr fühnen. Die Regierung 
aber rüstete sich unter Bismarcks thatkrästiger Führung zu entschlossener Gegen- 
wehr. Zunächst war klar, daß für die Stellvertretung des auf den Tod verwundeten 
Kaisers in den Regierungsgeschäften gesorgt werden mußte. Schon am 5. Juni 
wurde der Kronprinz hiermit beauftragt. Und so sehr auch weitgerühmte Milde 
und Menschenfreundlichkeit in seinem Wesen vorherrschen mochten, gegen den am 
10. Juli zum Tode verurleilten Hödel ließ er doch der Gerechtigkeit freien Lauf. Am 
U. Juni schon erfolgte dann weiter der Antrag Preußens (Bismarcks), die Auflösung 
des Reichstags zu beschließen. Nach Zustimmmng des Bundesrates verfügte der 
Kronprinz am 11. Juni die Auflösung. Die Neuwahlen wurden auf den 30. Juli 
ausgeschrieben. Uber die Notwendigkeit dieser Maßregel mag man verschiedener Mei- 
nung sein und wohl mit Recht behaupten, daß die Regierung auch bei dem 1877 ge- 
wählten Reichstag eine Mehrheit für ein neues Sozialistengesetz gefunden hätte. Aber 
niemand konnte das verbürgen, nachdem eine so große Mehrheit den ersten Entwurs 
abgelehnt und (mit Bennigsen) die Regierung nur auf den Weiterausban des ge- 
meinen Rechtes vertröstet hatte. Heinrich von Treitschke schrieb damals in den „Preußi- 
schen Jahrbüchern“ einen Artikel: „Der Sozialismus und der Meuchelmord“, welcher 
die sast allgemeine Uberzeugung und Meinung jener schweren Tage zum klarsten Aus- 
dmick brachte durch die Worte: 
„daß die heutigen Gesetze nicht mehr ausreichen, um den Beskand der Gesellschaft und der Kul- 
tur gegen die große Verschwörung der Sozialdemokratie zu sichern. Die langsam wirkenden 
Minel der sozialen Gegenwehr reichen längst nicht mehr aus gegen die Gesahren des Angenblicks. 
Der Mord, der feige Mord schleicht um unser Herrscherhaus. Es wäre ein ossenbarer Gewinn 
für die Kultur, wenn ein strenges Verbot der sozialistischen Vereine und Schristen den ehrlichen 
und denkenden Freunden des Volks wieder Zugang verschafft zu dem Ohr der Masse. das ihnen 
heule fast ganz verschlossen ist.“ Er sagt dann weiter, daß nach der Ablehnung der ersten Regie- 
rungsvorlage gegen die Sozialdemokratie der Liberalismus die Kosten dieses Scheinsieges, in 
Wahrheit seiner moralischen Niederlage, tragen muß, „daß nunmehr für lange hinaus nur eine 
konservative Regierung möglich ist“. Und er schliesßt mit den Worten: „Erst wenn die Nation 
durch die That bewiesen hat, daß die Würde der Krone und die Segnungen der Kultur ihr teurer 
sind als das Parteigezänl, dann erst wird die Welt uns glauben, daß das, was uns heute schän- 
det und entwürdigt, ein fremder Tropsen im deutschen Blule war.“ 
Die Neichstagswahlen vom 30. Juli 1878 gaben Treilschke vollkommen 
recht. Sie ergaben eine konservativ-klerikale Mehrheit und eine entsprechend starke Ver- 
minderung der Mittelparteien, vor allem der Nationalliberalen (um 32 Sitze), während 
die Konservativen um 19, die Freikonservativen um 18 gewachsen waren. Der Fort- 
schritt hatte 10 Sitze verloren. Der Vernichtungskampf, welchen die konservative und 
ossiziöse Presse während der Wahl gegen den Liberalismus und namentlich gegen die 
Nationalliberalen geführt hatte, war nach jeder Nichtung den Extremen zu gute ge- 
partei. Dagegen hatte die Sozialdemokratie, zu deren Bekämpfung die Neuwahlen 
doch eigemlich ausgeschrieben waren, nur drei Sitze verloren, neun gerettet. Nach den 
Stichwahlen zählten die Konservativen und Freikonservativen zusammen 115, die Na- 
Blun, Das Teuische Neich zur Zeit Bismarcks. 18
	        
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