318 II, 2. Bismarcks Wirtschaftspolitik im Reichstag 1879. Politische Folgen.
der friedlichen Beziehungen der ausländischen Mächte zu Deutschland) gewährt, so
will Ich mit dem dankbaren Gefühl, daß Meine Regienug bisher eine reich gesegnete
sei, auch auf die schweren Erfahrungen des letzten Jahres zurückblicken“, rief einige
Bewegung hervor. Denn diese Worte brachten von neuem in lebhafte Erinnerung,
wie viel der ehrwürdige Kaiser und mit ihm sein Volk seit den ruchlosen Mordschüssen
Nobilings gelitten hatte.
Für die Verschiebung der Parteiverhältnisse seit der letzten Herbstsitzung des
Reichstags bot schon die Präsidentenwahl ein lehrreiches Schauspiel, denn die Natio-
nalliberalen von Forckenbeck und von Stauffenberg und der Freikonservative Lucius
wurden erst nach einem hartnäckigen Wahlkampfe gewählt.
Diejenigen, welche hinter dem neuen Wirtschaftsprogramm eine tiesgehende Nra
der Reaktion witterten, verwiesen auf den Gefetzentwurf, welchen der Reichskanzler
mit Zustimmung des Bundesrates schon am 13. Februar dem Reichstag vorlegte,
und welcher dem Reichstag eine Strasgewalt gegen seine Mitglieder bei Mißbrauch
der Redefreiheit einräumen wollte. Die Strafen sollten, je nach der Schwere der
Ungebühr, bestehen in: Verweis vor versanmneltem Hause; Verpflichtung zur Entschul-
digung oder zum Widerruf vor versammeltem Hause in der von der Kommission dafür
vorgeschlagenen Form; Ausschließung aus dem Reichstag auf bestimmte Zeitdauer,
eventuell bis zum Ende der Gesetzgebungs-(Wahl= periode. Spöttisch nannten die
radikalen Parteien diesen Entwurf das „Maulkorbgesetz“ und erklärten ihn mit
der Würde und der Redefreiheit des Reichstags schlechterdings für unvereinbar. Die
Nationalliberalen aber erblickten darin den Versuch eine Sprengung ihrer Partei.
Denn der tiese Gegensatz zwischen ihrer gemäßigten Mehrheit unter Bennigsens Lei-
tung und dem „linken Flügel“ unter Laskers Wortführung war schon bei der Be-
ratung des Sozialistengesetzes so deutlich hervorgetreten, daß er Bismarcks durch-
dringendem Auge unmöglich verborgen bleiben konnte. Je weniger geschlossen aber
die Partei in den Hauptkampf dieser Tagung, den Kampf um die Wirtschaftsreform
eintrat, um so weniger entscheidendes Gewicht konnte sie geltend machen. Deshalb
müssen auch alle Einflüsse und Vorgänge, welche zu dieser bedauerlichen Schwächung
der nationalen Partei gerade in diesen entscheidenden Wochen beitrugen, im Zusammen-
hang mit den Verhandlungen des Reichstags über die Wirtschaftsreform dargestellt
werden. Das „Maulkorbgesetz“ erwies sich allerdings glücklicherweise als ungeeignet
zu ihrer Sprengung. Denn mit großer Mehrheit beschloß die Fraktion, trotz Laskers
hartnäckigem Widerspruch, den Grundgedanken der Vorlage an die Geschäftsord-
nungskommission zu verweisen. Dieser von Stauffenberg eingebrachte Antrag fand
denn auch bei allen Parteien, außer bei der Fortschrittspartei und den Sozialdemo-
kraten, Zustimmung. Fürst Bismarck sprach sich bei der Verhandlung im Reichstag
(4. bis 7. März) keineswegs feindselig gegen die Nationalliberalen aus, obwohl Lasker
auch im Pleuum die sojortige Ablehnung der Vorlage forderte. Der Kanzler erllärte
die Vorlage „für ein Internum des Reichstags“ und versicherte, daß er ihrer nur be-
dürse gegen die andernfalls straslofen Brandreden der Sozialdemokraten im Neichstag.
Auch seien Abwesende gegen Beleidigung und Verleumdungen durch den Ordmungsruf