326 II, 2. Bismarcks Wirtschaftspolitil im Reichstag 1879. Politische Fokgen.
namentlich gegen die Zölle auf Getreide, Vieh, Holz, Kohlen 2c. Er beries nämlich
auf das dringende amtliche Ersuchen der Städte Königsberg, Danzig, Thorn, Stektin
imd Kiel und auf Anfragen anderer Städte und Personen einen deutschen Städte-
tag nach Berlin.
Das Zentrum schloß seine Fraktionsberatungen über den Zolltarif in den Tagen
vom 28. April bis 2. Mai, dem Beginn der Generaldebatte im Neichstag, mit der
Lofung, mit welcher die Partei schon in die Osterserien gegangen war. Sie war bereit,
die Schutzzölle zu bewilligen; betreffs der Finanzzölle aber behielt sie sich vorerst noch
„freie Hand“ vor. Denn die Annahme der Finanzzölle (so erwog die Zentrums-
fraktion) würde die Matrikularbeiträge überflüssig machen, und diese könne das Zen-
trum nicht aus der Hand geben, ohne zuvor den „söderativen Charakter des Reiches“
(nach der ultramontanen Auffassung unserer Verfassung) gesetzlich festzulegen. Auch
jetzt noch setzte der Führer der nationalliberalen Partei, von Bennigsen, seine eifrigen
Bemühnngen fort, mit Bismarck eine Einigung auf der Gumdlage zu gewinnen, daß
eine konservativ-nationalliberale Mehrheit der Regierung gegen die konstitutionelle
Gewähr des Budgetrechtes des Reichstags die Finanzzöllec und die Tabakssteuer be-
willige, die Schutzzölle im einzelnen der Beschlußsassung des Neichstags überlassen
blieben, dagegen die gesamte nationalliberale Fraktion sich verpflichte, das vom Reichs-
tag abgeänderte Tarifgesetz in der Schlußabstimmung anzunehmen. Dieser staats-
männisch gedachte Plan wurde jedoch dem Führer der Partei schon bei den ersten Be-
ratungen von seiner Gefolgschaft zerrissen und unbrauchbar gemacht. Denn bereits in
der Vorstandssitzung vom 28. April (Böttcher a. a. O., S. 2444) war die Stimmung
nach Stephanis Tagebuch „sehr zerfahren und unangenehm“. In der Fraktion unter-
nahm man am 1. Mai eine allgemeine Beratung der Zoll= und Steuervorlagen. Sie
ward aber „durch Laskers häßliches Anftreten ’sehr gereizt und peinlich“. Nach dieser
Erfahrung gab man es aufs, sich im eigenen Kreise zu verständigen, nach außen zu
einigen. Die größte Partei des Reichstags war außer stande, die wichtigste Aufgabe
der Tagung auch nur unter sich selbst zu erörtern.
Unter solchen Anzeichen begann die Generaldebatte der Tarisvorlage im
Reichstag am 2. Mai. Sie dauerte sieben Tage, bis zum 9. Mai. Das Ergebnis
war, daß der Antrag der Nationalliberalen (Bennigsen-Benda-Lasker), für Finanz=
und Schutzzölle zwei besondere Kommissionen einzusetzen, abgelehnt und dagegen auf
Antrag von Löwe-Bochum (Dr. Löwe-Calbe) eine einzige Kommission gewählt wurde.
Dieser Beschluß wurde freilich nur mit zwanzig Stimmen Mehrheit gefaßt. Aber die
schwarzen Geschwader, welche sich im Zeutrum und auf der Rechten für den Antrag
des freisinnigen Löwe erhoben hatten, ließen keinen Zweifel darüber, in welchem Sinne
die Entscheidung gefallen war: die ultramontan-konservative Liga wollte die
Festsetzung der Bedingungen für die Bewilligung der Finanzzölle in ihrer Hand be-
halten und die Nationalliberalen aus den Verhandlungen mit Bismarck über diese
Frage verdrängen.
Die Vorträge der einzelnen Redner während der siebentägigen Redeschlacht auch
mur im Auszug anzuführen, ist unmöglich. Hier kann nur eine kurze Ubersicht über