Full text: Das Deutsche Reich zur Zeit Bismarcks.

Deutscher Volkswirtschaftsrat. Zolllarisnovelle. Küstenschissahrt. Wuchergesez. 355 
der geringeren Sicherheit des Geldsuchenden eine höhere Zinsprämie bedingen muß, 
wollte die Mehrheit des Neichstags auch jetzt keine Fesseln anlegen, etwa durch Er- 
neuerung der alten kanonischen Zinsverbote, Festsetzung eines Zinsmarimums u. dgl. 
Dagegen galt es, der unter der bestehenden Gesetzgebung immer schamloser und ver- 
derblicher anftretenden und sich ausbreitenden wucherischen Ausbeutung Bedrängter, 
Notleidender, Leichtsinniger K. durch Einführung besonderer Strafbestimmungen gegen 
den Wucher zu steuern. Im Reichsstrafgesetzbuch war nur die Bewucherung Minder- 
jähriger mit Strafe belegt (§ 301, 302). Auf die erste im Reichstag 1879 er- 
gangene Anregung zum Erlaß eines Wuchergesetzes arbeitete ein Ausschuß nach den 
ausgezeichnet klaren und zutreffenden Vorschlägen des Kommissionsmitgliedes Ab- 
geordneten v. Schwarze (königlich sächsischen Generalstaatsanwalts) einen Gesetzentwurf 
aus, welcher die Thatbestandsmerkmale des strafbaren Wuchers gena feststellte. Unter 
Bemitzung dieser Vorarbeit brachte dann 1880 der Bundesrat eine Vorlage an den 
Reichstag, welche von diesem in allen wesentlichen Bestimmungen mit großer Mehr- 
heit, fasi nur gegen die Stimmen der Fortschrittspartei, genehmigt wurde. 
Eine für alle Fälle unanfechtbare und allgemein gültige Begriffsbestimmung des Wuchers 
hatte sich nicht geben lassen. Das Gesetz begnügte sich daher, diejenigen thatsächlichen Merkmale 
aufzustellen, bei deren Vorhandensein es strafbaren Wucher annahm. Als solche Grundlagen 
stellte es auf: die Beanspruchung ungewöhntich hoher Zinsen, um die Notlage, den Leichtsinn 
oder die Unersahrenheit des Geldsuchenden gewinnsüchtig anszubenlen, so daß sich ein auffallen- 
des Minverhälluis der Vermögensvorteite des Darleihers zu dessen Leistung ergibt. Strafschär- 
fungen treien ein für den gewerbsmäßigen Wucher, sowie wenn die wucherischen Vorteile ver- 
schleiert oder durch die Wechselsorm in rücksichtsloserem prozessualen Vorgehen gegen den Schuld- 
ner gesichert zu werden suchen. Dieselben Strafschärfungen finden Anwendung, wenn sich der 
Wucherer das Ehrenwort oder ähntiche Beteuerungen vom Schuldner geben läßt. Die strafrecht- 
liche Verurteilung wegen Wuchers hat auch die Ungültigkeit und Unklagbarkeit der wucherischen 
Verträge zur Folge, gegen welche das Strafurteil sich richtet. 
In dieser Fassung erlangte der Entwurf am 24. Mai 1880 Gesetzeskraft. Seine 
Anwendung konnte man getrost dem freien Spielraum der richterlichen Anslegung 
überlassen. Daß dieses Vertrauen sich voll bewährte, daß das Gesetz höchst segens- 
reich wirlte und namemlich der Wucher gänzlich zum Rückzug aus dem Gelddarlehns- 
geschäft gezwungen wurde, stellte ein diese Frage untersuchender Ausschuß des Reichs- 
tags im Februar 1888 ausdrücklich sest. Damit stimmen die Ergebnisse überein, 
welche die Untersuchungen des Vereins für Sozialpolitik auf diesem Gebiete er- 
mittelten. 
Die Veratungen und Veschlüsse des Neichstags bei diesem Gesetzentwurf trafen 
aber auch insoweit das Nichtige, als sie die (hauptsächlich durch den Abgeordneten 
Grasen Wilhelm v. Bismarck vertretenen) Versuche ablehnten, den erlaubten gesetz- 
lichen Zinsfuß auf 15 Prozent für Handdarlehen und auf 8 Prozent bei hypothekari- 
scher Sicherheit zu beschränken. Von derselben Seite war beantragt und vom Zeutrum 
unterstützt eine Beschränkung der Wechselsähigkeit. Der Reichstag machte die 
Entscheidung hierüber von einer dem Bundesrat zugewiesenen Untersuchung abhängig. 
Insolge dieses Beschlusses wurde num vom Neichskanzler ein gewaltiger Apparat in 
23
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.