386 II. 5. Versuche einer Verständigung mil Rom (1878 -83).
Roma locuta est — der Unsehlbare hatte gesprochen. Die Anzeigepflicht,
welche der römische Stuhl uun gerade seit sieben Jahren für unerträglich und un-
möglich erklärt hatte, welche in Kissingen angeboten und in Gastein und Wien wieder
von der Tagesordnumng der Verhandlungen ganz abgesetzt worden war, sie war hier
wenigstens als Duldung der Anzeige seitens der Bischöse vom Papste selbst in Aus-
sicht gestellt, wenn auch noch keineswegs als Anzeigepflicht anerkannt. Die prenßische
Staatsregierung erklärte darauf in einem Beschluß des Gesamtministeriums vom
17. März 1880:
„Die königlich preußische Slaalsregierung erblickt in dem päpstlichen Breve vom 24. Fe-
brnar 1880 um so bereilkwilliger ein neues Zeichen der friedlichen Gesinnungen, von welchen der
heilige Stuhl beseelt ist, als diese Gesinnungen damit zum erstenmal einen auch nach außen hin
erlennbaren konkreten Ansdruck gesunden haben. Indessen laun die lönigliche Regierung jener
Kundgebung, solange Zweifel über deren Kongruenz (Ubereinstinmmung) mit den bezüglichen
flaatsgesetzlichen Vorschriften bestehen, sowic in anbetracht des in ihr zu Tage trelenden Mangels
an einer bestimmten, die Erfüllung der gesehlichen Anzeigepflicht sichernden Anordnung, vorerst
nur einen theoretischen Wert beimessen. Demgemäß hofft sic zunächst erwarten zu dürfen, dast
der ernenlen Erklärung über die versöhnliche Absicht Seiner Heiligleil auch praktische Folge ge
geben werde. Sobald die Wönigliche Regierung den sichtlichen und in Thalsachen ausgedrückien
Beweis hierfür in Händen hal, wird sie sich bemühen, von der Landesvertrelung Vollmachten
zu gewinnen, welche ihr bei Anwendung und Handhabung der einschlagenden Gesetzgebung freiere
Hand gewähren und damit die Möglichkeit bieten, solche Vorschristen und Anordnungen, welche
von der Kirche als Härten empfunden werden, zu mildern oder zu beseitigen und so ein dem
Verhalten der latholischen Geistlichen entsprechende Entgegenkommen auch staalsseitig zu be
thäligen.“
Wie richtig Fürst Bismarck bei Erwirkung dieses Staatsministerialbeschlusses
die römischen Verhältuisse gewürdigt hatte, mit wie gutem Grunde er bezweifeln
mochte, daß der Unfehlbare seine löblichen Entschlüsse auch seiner jesuitischen Um-
gebung gegenüber würde behaupten können, das lehrte sofort die nächste Depesche,
welche vom Prinzen Reuß am 29. März aus Wien an den Fürsten Bismarck ab-
gesandt wurde. In dieser Depesche teilte nämlich der deulsche Botschafter in Wien
mit, daß ihm der Pronunzius Jacobini am nämlichen Tage einen Erlaß des Staats-
sekretärs Nina vom 23. März vorgelegt habe, der verfaßt war, ehe man in Nom
von dem preußischen Ministerialbeschluß vom 17. März Kenntnis haben konnte, und
in welchem es heißt:
„Als Gegenleistung für die Vorteile, welche die Kirche begehrt, erklärt Seine Heiligkeit sich
von jetzt ab geueigl, die Verordnnng, daß die orckinarüf (Bischösec), welche wieder in Besitz der
Freiheit der Ausübung ihres Hirtenamtes getreten sind, sofern es sich um eine Ernennung in-
amovibler (sestangestellter) Pfarrer handel!, sich an die Regierung wenden können, um deren An
sichten oder Einwendungen in betresf der Kandidaten kennen zu lernen. Die vollftändige Kennt-
nis dieser Sache, welche Enrer Heiligkeit beiwohnt, erspart es mir, Sie darauf hinzuweisen, das ein
solches Zugeständnis niemals anders geschehen kann, als für die sestangestellten Pfarrer, da nie.
mals einer Regierung, auch nicht denen, die sich am meisten um die Kirche verdient gemach! haben,
mehr zugestanden worden ist.“ — Minister von Pulikamer fügte bei Mitleilung dieser Stelle im
Abgeordnetenhause binzu: „Es wird gar nicht schwer sein, nachzuweisen, daß das einegeschichtliche