Full text: Das Deutsche Reich zur Zeit Bismarcks.

Scheitern der Vorlage. Reichstagswahlen 1881. Kaiserbotschaft vom 17. November. 413 
14. November abgeschlossenen 97 Stiichwahlen. Diese Ergebnisse hatten nämlich an 
sich für die Sozialpolitik Bismarcks wenig Ermutigendes und ließen sich um so weniger 
rosig auffassen, als die Offiziösen der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ und „Pro- 
vinzialkorrespondenz“ bis wenige Wochen vor dem Wahltag feierlich verkündet hatten, 
der Wahltag werde ein Volksurteil für und wider den Kanzler und seine Sozialpolitik 
darstellen. Dieses „Volksurteil“ hatte die von der Regierung am heftigsten bekämpfte 
und von den Ofsfiziösen des „Nepublikanismus“ geziehene Fortschrittspartei und Se- 
zession mehr als verdoppelt, die gemäßigten Nationalliberalen dagegen von 97 Sitzen 
auf 42 beschränkt, die Deutschkonservativen nur auf Kosten der Freikonservativen bei- 
nahe in der bisherigen Stärke erhalten, die unberechenbarste und wegen ihrer Zahl 
gejährlichste Partei, das Zentrum, wieder um 6 Sitze, auf 99 vermehrt, endlich auch 
die Sozialdemokraten von 9 auf 13 gebracht. Aber Bismarck ließ auch angesschts 
dieser wenig tröstlichen neuen Gestaltung der dentschen Volksvertretung Zuversicht und 
Mu nicht sinken. Er gab der Welt für diese ungebeugte Stimmung und Sieges- 
hoffnung seiner Seele noch ein unendlich bedeutenderes Zeugnis als das bereits mit- 
geteilte in der berühmten Kaiserbotschaft vom 17. November 1881, mit welcher 
der Reichstag an eben diesem Tage eröffnet wurde. Auns Poschinger (Bd. 2, S. 81) 
wissen wir, daß Fürst Bismarck nicht bloß der Urheber der leitenden Gedanken, son- 
dern auch der Form und Fassung dieses denkwürdigen geschichtlichen Aktenstückes ist. 
Eine leichte Erkrankung hinderte den Kaiser noch im letzten Augenblicke an dem Vor- 
haben, den Inhalt dieses Schriftstückes als Thronrede dem Reichstage vorzutragen. 
Und so nahm es die außergewöhnliche Form einer Kaiserbotschaft an, welche ihr Ver- 
sasser Fürst Bismarck selbst verlas. Diese bedeutsame Allerhöchste Kundgebung war 
übrigens nicht bloß in vielfachen Beratungen des Fürsten Bismarck mit dem Kaiser, 
sondern auch mit dem Kronprinzen vorbereitet und sestgestellt worden (Hahn, Fürst 
Bismarck, Bd. 4, S. 220). Denn niemand vermochte vorauszusehen, ob das große, 
hier verheißene Werk noch unter der Herrschaft des 84jährigen Kaisers sich werde voll- 
ziehen lassen, und so ziemte sich wohl, auch die Zustimmung des künftigen Erben 
der deutschen Kaiserkrone dafür einzuholen. Die auf die Sozialpolitik des Reiches 
bezüglichen Stellen der Kaiserbotschaft lauten: 
„Schon im Februar d. J. (in der damaligen Thronrede) haben Wir Unsere Uberzengungen 
aussprechen lassen, daß die Heilung der sozialen Schäden nicht ausschließlich auf dem Wege der 
Niederhaltung sozialdemokratischer Ansschreitungen, sondern gleichmästig auf dem der positiven 
Förderung des Wohles der Arbeiter zu suchen sein werde. Wir halten es für Unsere Kaiserliche 
Pflicht, dem Reichstage diese Aufgabe von nenem ans Herz zu legen, und Wir würden mit um 
so größerer Befriedigung auf alle Erfolge, mit denen Gott Unsere Regierung sichtlich gesegnet 
hat, zurückblicken, wenn es Uns gelänge, dereinst das Bewususein mitzunehmen, dem Valerlande 
neue und dauernde Bürgschaften eines inneren Friedens und den Hilfsbedürftigen größere Sicher- 
heit und Ergiebigkeit des Beistandes, auf den sie Anspruch haben, zu hinlerlassen. In Unseren 
darauf gerichteten Bestrebungen sind Wir der Zustimmung aller verbündelen Regierungen ge- 
win und vertrauen auf die Unterstützung des Reichstags ohne Unterschied der Parleistellungen. 
„In diesem Sinne wird zunächst der von den verbündeien Regierungen In der vorigen Ta- 
gung vorgelegte Entwurf eines Gesetzes Uber die Versicherung der Arbeiter gegen Betriebsunsälle
	        
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