24 I. 2. Der erste dentsche Reichstag. Die Entstehung des Zeutrums.
füllung der gebieterischen Pflicht zurückweichen, den Gesetzen des Staates die Achtung
zu sichern, die ihnen jedermann ohne jede Ausnahme und unter allen Verhällnissen
schuldig ist.“ Frankreich, „die älleste Tochter der Kirche“, und damals noch im höch-
sten Maße beeinflußt von der ultramontanen Kaiserin Eugenie, erließ sogar wieder-
holt (im Jannar und am 4. April) Vorstellungen beim Papste. In der letzteren Note
bezeichnet das katholische Frankreich die Gefahren der Unfehlbarkeit, deren Verkündi-
gung am 6. März vom Konzil in einer förmlichen Vorlage gesordert worden war, in
so rückhaltlosen Worten, wie dies nur je von deutscher Seite geschehen ist:
„Je mehr man diese Lehre prüft, um so weniger ist zu verlennen, daß dieselbe im Grunde
soviel bedentet, als die gänzliche Unterordnung der bürgerlichen unter die religiöse Gesellschaft.
Hätte die Unfehlbarleit und die päpstliche Autorität keine anderen Grenzen als diesenigen, welche
die Kirche selbst ihr geben will, so würden alle Grundlagen (principes) der bürgerlichen, politi
ichen, wissenschaftlichen Ordnung nittelbar oder unmittelbor unter ihre Machtbesugnis fallen..
Die Regierungen und die bürgerliche Gesellschaft würden keine Freiheit bewahren als die Macht
und die Freiheit, welche die Kirche ihnen zu bewilligen geneigt wäre .. Die persönliche Unsehl-
barkeil des Papstes verlangt man zur Vervollständigung dieses Systems; d. h. nachdem man
alle religiöse Macht in die Hände der Kirche gelegt hat, vereinigt man alle Macht der Kirche in
den Händen ihres Hanpfes ... Damit würde namens des Papstes das Anathema üÜber alle
bürgerlichen Einrichlungen und die ganze bürgerliche Gesellschaft ausgesprochen, und dadurch
wird, wenn nicht die Klugheit des heiligen Sluhles es noch zu verhindern sucht, ein Gegensot
zwischen allen dürgerlichen Gesellschasten und der Kirche angebahnt, welcher gleich verderblich
für beide werden kann.“
Sicherlich unter dem Eindriccke dieser Warnungen, welchen sich Bismarck zur
Unterstützung der französischen Note anschloß, erhob nun am 10. April die gesamte
Minderheit auf dem Konzil eine vom Kardinal von Nauscher verfaßte fönnliche Vor-
stellung wegen Aufschubs der Beratung über die Unfehlbarkeit:
„Denn diese Frage berührt die dem christlichen Volle von den Geboten Gottes zu gebende
Unterweisung und belrisst unmittelbar das Verhältnis der katholischen Lehre zur bürgerlichen
Gesellschast. Eine andere Lehre über das Verhältnis der kirchlichen Gewalt zur staaklichen
tragen wir mit sast allen Bischöfen der latholischen Welt dem christlichen Volke vor. Denn wir
lehren: der welkliche Fürst, ols Glied der Kirche, unterstehe der kirchlichen Gewalt, der aber nie-
mals das Recht zustehe, ienen abzusetzen und die Unterthanen vom Bande des Gehorsams zu lösen.
Die Gewalt, üÜber Könige und Reiche zu urteilen, welche die Päpste des Mittelalters ausgeübt.
hobe ihnen zufolge einer gewissen eigentümlichen Gestallung des öffentlichen Rechtes zugestanden.
aber mit den veränderten ösfentlichen und privaten Einrichtungen sei dieselbe, zugleich mil der
Grundlage, auf der sie geruht, hinweggesallen...Wäre aber der christliche Unterricht auf diese
Weise (d. h. durch Verkündung der Unfehlbarkeitslehre) umgestaltet, so würde es wenig nützen.
zu versichern: Pins IX. denke nicht daran, die Lenker der sioatlichen Angelegenheiten abzusetzen.
Hohnlachend würden die Gegner antworten: die päpstlichen Urteile fürchten wir nicht; aber nach
langen und verschiedenen Verstellungen ist es endlich evident geworden, daß jeder Katholil, dessen
Werke durch den Glauben, den er bekennt, geleitet werden sollen, ein gedorener Feind des Staa-
tes ist, da er sich im Gewissen für gebunden erachlek, soviel er kann dazu beizutragen, daß alle
Reiche und Völker dem römischen Papsie unterworfen werden.“