530 IH.I, 10. Kußere und innere Politik des Deutschen Reiches (1879 bis März 1888).
die uns den Frieden lieben und pflegen läßt. Wer ihn aber trotzdem bricht, der wird
sich überzeugen, daß die kampfesfreudige Vaterlandsliebe, welche 1813 die gesamte
Bevölkerung des damals schwachen, kleinen und ausgesogenen Preußen unter die
Fahnen ries, heutzutage ein Gemeingut der ganzen deutschen Nation ist, und daß der-
jenige, welcher die deutsche Nation irgendwie angreift, sie einheitlich gewaffnet finden
wird, und jeden Wehrmann mit dem festen Glauben im Herzen: Gott wird mit uns sein!“
Der unbeschreibliche Eindruck dieser Rede gab sich kund in einem ebenso beispiel-
losen Vorgang, der ihr ummittelbar folgte. Denn im Namen des Zentrums erhob
sich der Freiherr von Franckenstein mit dem Antrage: die Anleihevorlage ohne Debatte
an den Budgetausschuß zu verweisen, da dieselbe nur eine Folge der Wehrvorlage sei,
und er für die letztere Namens seiner Partei die Annahme en bloc beantragen werde.
Das Zentrum wolle damit seine Anerkennung und die Berücksichtigung der dermaligen
Gesamtlage ausdrücken. In gleichem Sinne sprachen von Helldorff für die Konser-
vativen, von Bennigsen für die Nationalliberalen, von Behr für die Freikonservativen,
selbst Rickert für den Deutschfreisinn. Darauf begann die zweite Lesung der Wehr-
vorlage, deren en bloc-Annahme Freiherr von Franckenstein nun beantragte. Nach
einer kurzen Zustimmungserklärumg Bennigsens erhob sich Fürst Bismarck, um aus-
zusprechen: „Ich kann nur Zeugnis dafür ablegen, daß die Regierungen sür ein so
entschlossenes und rasches Entgegenkommen dankbar fein werden und darin nicht nur
einen Beweis des Vertrauens des Reichstags erkennen, sondern auch eine wesentliche
Verstärkung, welche diese Vorlage für die Garantien des Friedens haben wird.“ Hierauf
wurde das Gesetz ohne weitere Verhandlung und im ganzen einstimmig angenommen.
Als aber dieses Ergebnis festgestellt war, brach ein ungeheurer Beisallssturm im
ganzen Hause los.
Fürst Vismarck war schon auf der Hinfahrt zum Neichstag von der in den Straßen
imd vor dem Reichstagsgebände zu Tanfenden angesammelten Menge mit begeisterten
Zurufen begrüßt worden. Als er jetzt aus dem Hause trat und, da er feinen Wagen
nicht vorfand, zu Fuß nach seinem Palais in der Wilhelmstraße ging, da geleitete ihn
die nach Tausenden zählende Volksmenge mit jubelnden, immer erneuten Hurra= und
Hochrufen, bis er unter der Thür seines Hauses verschwunden war.
Am II. Februar schon lonnte Kaiser Wilhelm die neue Wehrvorlage, am 20. Fe-
bruar auch das Heeres-Anleihegesetz vollziehen. Die einmütige Hingebung des Reichs-
tags in diesen Tagen und Wochen, die einstimmige sosortige Bewilligung aller Bedürs-
nisse des Neiches für dessen Sicherstellung gegen jede Gesahr, die es bedrohen konnte,
war die letzte große Stärkung und Frende, welche diesem verlöschenden Heldenleben
beschieden sein sollte!