654 III, 6. Die Reichslande Elsaß - Lothringen (1878 — 88).
gesinnt war, zeigte sie deutlich, indem sie am 21. Juli 1887 an Sielle des versiorbenen
Protestlers Kablé den reichstreu gesinnten Altelsässer Nechtsanwalt Dr. Pekri in den
Neichstag wählte. Jetzt enthielt sich die Protestpartei der Abstimmung, so sehr hatte
sich innerhalb der wenigen Monate seit dem Februar die Gesinnung des Volkes ver-
ändert. Dr. Petri besaß den Mut, der nationalliberalen Partei beizutreten. Auch der
Landesausschuß der Reichslande gab deutliche Beweise seiner veränderten Ge-
sinnung. Zu Beginn des Jahres 1887 hatte er mit Rücksicht auf die unsichere Zukunft
des Landes, dessen Rückfall an Frankreich damals die Mehrheit sicher erwartete, den
Bau eines Landesausschußgebäudes abgelehnt, aber jetzt am 24. Febrnar 1888 wurde
der Bau bewilligt, auch die Bildung eincs Landwirtschaftsrates. Der Reichstag hatte
schon am 23. Januar die Einführung der deutschen Gewerbeordnung in den Neichs-
landen beschlossen. Sehr bemerkenswert war die Rede, mit welcher IDr. Petri am
23. Februar im Reichstag seinen Antrag befürwortete: „den Reichszuschuß für die
Universität in Straßburg aus dem Extraordinarium des Neichshaushaltes wieder in
das Ordinarium zu versetzen, wo er seit 1876 gestanden habe“.
Diese Veränderung, sagte Lr. Petri, würde sonst als eine Anderung der Gesinnung der
Regierung gegen Elsaß-Lothringen gedentel werden. Er werde die ellässischen Angelegenheiten
immer vom dentsch-nationalen Standpunkt bekrachten. Die Universität Straßburg sei als Pflanz=
stätte deutscher Kultur in der Westmark errichtet und solle es bleiben. Die Bevölkerung der Reichs
lande sei nicht revolutionär, sondern ruhig und gesetzliebend. Die ruhige Entwickelung sei sicher.
wenn die Regierung zwar gegen die Ausschreitungen vorgehe, aber lleinliche Polizeimastregern
vermeide. Lebhafter Beifall des ganzen Hauses folgle dieser Rede, und Minister von Bötlicher
sagle ersreut die Erfüllung der von Peir ausgesprochenen Wünsche zu. Dr. Peim seinerseits be-
grüßle die Erklärung des Ministers „als eine Brücke zur Verfländigung mit der elsaß loihrm
gischen Bevöllerung“. In Anerkenumg dieser mamhaften Aussprache schrieb Bismarcks Organ,
die „Norddeulsche Allgemeine Zeitung“, tags darauf: „Dieser Tag wird in der Geschichte der
nationalen Entwickelung eine bleibende Bedeniung haben.“
So hatle denn Kaiser Wilhelm I. vor seinem Heimgang noch die Slimme eines
hervorragenden Altelsässers vernommen, welcher so treu am deulschen Vakerlande wie an
seiner Heimat hing. Kaiser Friedrich III. erklärte am 20. März in einem in Straßburg
verössentlichten Erlaß: „Die demsche Kaiserwürde und damit die Regierung der Reichs-
lande ist auf Uns übergegangen. Wir haben dieselbe im Namen des Reiches über-
nommen, entschlossen, die Rechte des Reiches über diese deutschen, nach langer Zwischenzeil
wiederum mit dem Vaterlande vereinigten Gebiete zu wahren.“ Trot dieser entschiedenen
kaiserlichen Erklärung wußten doch die französischen Wühler in weiten Kreisen der
reichsländischen Bevölkerung den Glanben zu verbreilen, die Tage der deulschen
„Fremdherrschaft“ in Elsaß-Lothringen seien gezählt, da die Kaiserin auf Rückgabe
der Reichslande an Frankreich dringe, um dieses „zu versöhnen“ und dadurch die
deutschen Streitkräste im Dienste Englands, des Mutterlandes der Kaiserin, gegen
Rußland allein frei zu halten und zur Verfügung zu stellen. Die altdeulschen demo-
kratischen Streber, welche sich össentlich damit brüsteten, insgeheim die eigentlichsten
Herzensfreunde des Kaisers zu sein und dessen geheimste Pläne zu kennen, sind für
diesen französischen Wühlschwindel in den Neichslanden mit verantwortlich zu machen.