Die Statlhalierschaft Hohenlohe (1885 ff.). Fortschreitende Germanisierung (1887/88). 655
Vornehmlich um diesen Verhetzungen den Nährboden zu entziehen, wurde am 22. Mai
über die französische Grenze zureisenden Ausländer zwang, einen Paß vorzuzeigen,
der von der deutschen Botschaft in Paris visiert war, den Besuch aller Personen aber,
welche in irgend einer Eigenschaft zur französischen Armee oder Marine gehörten, oder
vor Erfüllung ihrer Wehrpflicht die deutsche Staatsangehörigkeit verloren hatten, noch
mehr einschränkte. Vorauszusehen war, daß diese mit Strenge durchgeführte Maßregel
dem bis dahin in tausendsältiger persönlicher Verbindung mit Frankreich stehenden
Reichslande manche Unbequemlichkeiten und wirtschaftlichen Nachteile und den Reichs-
eisenbahnen ganz bedentende Einbußen bereitete. Gleichwohl waren die günstigen
Wirkungen der Maßregel mit diesen Opfern keineswegs zu tener erkauft, denn der
Hauptzweck dieser Paßverordnung ward vollständig erreicht. Ihn faßte die „Nord-
deutsche Allgemeine Zeitung“ am 29. Mai 1888 in die Worte: es sollen dadurch
zwischen den Neichslanden und Frankreich „eutferntere Beziehungen herbeigeführt
werden, um die Wiederdeutschmachung der Reichslande und deren Loslösung von
Frankreich zu fördern“. Das erzielte die Verordnung; den französischen Hetzern war
das Land verschlossen; die Answanderung von Elsaß-Lothringern nach Frankreich
und das Zuströmen der reichsländischen Jugend zu französischen Lehranstalten ver-
minderte sich wesentlich, weil die Rückkehr nach der Heimat sortan erheblich erschwert
war. Die Paßverordnung wurde daher trotz aller Bemühungen des Landesausschusses
umd trotz einer vom Abgeordneten Dr. Petri im Reichstag begründeten Interpellation
bis zum Oktober des Jahres 1891 nicht ausgehoben, sondern nur bald milder, bald
strenger gehandhabt.
Eine weitere wirkungsvolle Maßregel, um zwischen den Reichslanden und Frank-
reich „entserntere Beziehungen herbeizuführen“, war das am 1. April 1888 erlassene
Verbot der Zulassung französischer Scheidemünzen im reichsländischen Geld-
verkehr, welchem später die Verordnung folgte, daß in den Neichslanden alle Rech-
nungen, Schlußscheine, alle Lohn-, Gehalts= c. Beträge auf Markwährung lanten
mußten, nicht mehr auf Frankwährung lanten durften. Ferner wurde angeordnet,
daß alle Kinder aus den Reichslanden, welche nichtdeutsche Schulen besuchten, alljähr-
lich eine Prüsung vor dem Kreisschulinspektor abzulegen hätten.
Die tiese Wirkung dieser Maßregeln zeigte sich in der zunehmenden Ver-
deutschung des Landes. Die Wahlen für die Kreis= und Bezirkstage und den
Landesausschuß sielen schon 1888 sehr günstig aus. Die traurigen Beweise von Zivili-
sationsbedürftigkeit und Rechtlosigkeit, melche Frankreich bei und nach der früher er-
wähnten Mißhandlung deutscher Studenten in Belfort ablegte, machte auf alle unbe-
sangenen Etsaß-Lothringer den peinlichsten Eindruck zu ungunsten Frankreichs. Aber
geradezu empört war das Land, als das dem französischen Unterrichtsminister Lockroy
eigentümlich gehörige Blatt, der Pariser . Rappel-, im November 1888 einen Artikel
brachte, der mit großer Genugthuung hervorhob, daß sich in der sranzösischen Fremden=
legion 8000 Elsaß-Lothringer befänden, welche damit sagten: „Hier stehen wir und
beweisen, daß unser Blut Frankreich gehörtl-'“ Warum setzt man nicht an Stelle des