Full text: Das Deutsche Reich zur Zeit Bismarcks.

658 III, 7. Die Entlassung des Fürsten Bismarck (März 1890). 
Strafandrohungen, die lebhafte Förderung des Turnens, aller Körperübungen und 
Sports und daneben unzählige militärische Resormen, namentlich die Vereinsachung 
der Lebenshaltung der Offiziere und die strenge Ahndung von Soldatenmißhandlungen. 
Daß die Neden und Anregungen des Kaisers bei Berührung so zahlreicher wich- 
tiger Fragen nicht selten ein tieferes Erfassen vermissen ließen und eine gewisse Ein- 
seitigkeit verrieten, wurde aufangs gern übersehen. Denn jedenfalls war die Anregung 
selbst von höchster Stelle aus dankenswert und rühmlich, der Sache sörderlich. Von 
dem Urteil fachverständiger unabhängiger Fachmänner versprach man sich gründ- 
liche Erörterung und Lösung. Vor allem aber sah man zur Seite des Kaisers und 
in scheinbar unveränderter Eintracht mit ihm den erfahrensten und geschicktesten Nat- 
geber und Staatsmann des Neiches, den Fürsten Bismarck. Niemand ahnte, daß 
diese Eintracht nur noch kurze Zeit bestehen sollte, da unverantwortliche Natgeber 
in der Umgebumg des Kaifers bewußt und unbewußt am Werke waren, den treuesten 
Paladin des Kaisers und Reiches aus seinem hohen Amt zu drängen. Mit welchen 
Mitteln dies geschah, entzieht sich ja großenteils zur Zeit noch der öffentlichen Kennt- 
nis. Aber einzelne Thatsachen erhellen gleich Blitzen das Dunkel. Unbestritten blieb, 
daß Minister von Bötticher, einer dieser Vertrauten des Kaisers, dem Kaiser gesagt 
habe: „Wenn Majestät dem Großen Friedrich nachstreben, so müssen Sie vor allem 
den Fürsten Bismarck beseitigen.“ Das sagte ein Minister im Amte, ein Kollege des- 
Ministerpräsidenten Fürst Bismarck, ein Mann, der zeit seines Lebens viel Liebe und 
Vertrauen von Bismarck erfahren hatte — wie mögen da erst die liebedienerischen Ein- 
flüsterungen gelautet haben, welche von den zahlreichen Günstlingen des jungen Monar 
chen an dessen Ohr getragen wurden: von Günstlingen im Militär= und Privatstande, 
von strebsamen jungen und alten Diplomaten, konservativen und ultramontanen Partei- 
führern 2c., denen insgesamt Fürst Bismarck der unbequemste Mann war, sowohl 
im Reiche als in ihrer eigenen Bahn. Welche Beachtung und welchen Einfluß das 
Zentrum sich allmählich auf dem Wege der kaiserlichen Hintertreppen zu erringen 
wußte, ward ja offenbar, als der Abgeordnete Freiherr von Franckenstein am 22. Jannar 
1890 starb. Da sandte der Kaiser ein Beileidstelegramm an den Prinz-Regenten 
von Bayern und an den Reichstag. Und bei den Tranerseierlichkeiten um den am 
14. März 1891 verstorbenen Abgeordneten Windthorst ließen sich der Kaiser und die 
Kaiserin sowohl in der Hedwigskirche in Berlin als bei der Uberführing der Leiche 
nach dem Lehrter Bahnhof vertreten, und die amtliche Presse stimmte über dem Sarge 
des welfischen Führers der römischen Partei, des Todseindes Preußens und Deutsch- 
lands, in jeder Beziehung tranrige Klagelieder an, als sei der größte deutsche National- 
held gestorben. „Die Apotheose Windthorsts“ nannte Bismarck diese Trauerbeweise 
des amtlichen Deutschland. 
Am wirksamsten waren die Beziehungen, welche Kollegen und selbst Untergebene 
des Reichslanzlers Fürsten Bismarck unter Bekämpfung seiner Politik und unter Be- 
nutzung ihres amtlichen Zutritts zur höchsten Stelle erlangten. Schon Monate vor 
seinem Ausscheiden machte der Fürst die Wahrnehmung, daß zwischen ihm selbst, dem 
Kanzler und Ministerpräsidenten, und den Kollegen nicht die srühere Ubereinstimmung
	        
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