10 Unsere Sozialdemokratie
eine Klasse auf dem Gipfel ist“, sagt Taine treffend, „so ver—
größert sie sich durch alles was aufsteigt oder klettert.“
Die Vorrechte dieser herrschenden Stände dem Staate
gegenüber bestanden vor allem in der Steuerfreiheit und in der Be-
freiung vom Kriegsdienst und von Einquartierung. Die Kirche,
welche ein Jahreseinkommen von 200 Millionen hatte, erhielt
vom Staate noch 1½ Millionen jährlich herausgezahlt. Der
Adel zahlte — „mit weitem Gewissen und weiten Rücksichten“,
wie Taine sagt — von 1½ Millionen, die er hätte gesetzlich
aufbringen müssen, die lächerliche Summe von 14,000 Livres
Steuern. Die Prinzen von Orleans, welche ein Jahreseinkommen
von 11 § Millionen hatten, rühmten sich, „daß sie etwa soviel
an Steuern zahlten, als sie wollten“. Die königlichen Prinzen
zahlten statt der 2,400,000, zu welchen sie verpflichtet gewesen
wären, nur 188,000 Livres Steuern d. h. nicht ganz acht Pro-
zent von dem, was sie dem Staate schuldeten. Der ganze da-
malige Adel Frankreichs zahlte wohl weniger aus Geiz, als aus
Stolz keine Steuern. An diesem Stolz würde es wohl auch
uns nicht fehlen, wenn er Aussicht hätte, beim Steuereinnehmer
Beachtung zu finden und dessen ehrfurchtsvollen Rückzug zu
bewirken, sobald wir ihm nur zu sagen brauchten: „Wir sind
zu stolz, um Steuern zu zahlen.“
Was die Flächengröße der Güter anlangt, welche in
Frankreich damals in der Hand der Kirche und des Adels sich
befanden, so genügt es festzustellen, daß die mittleren Feudal-
güter damals schon berechnet wurden zu einer Ouadratlieue
(stunde) Umfang, auf welcher tausend Unterthanen wohnten.
In der That war das Verhältnis des feudalen Guts-
herrn — des adligen und kirchlichen — zu seinen Guts-
einwohnern das des ziemlich schrankenlosen Herrschers zu fast
rechtlosen Unterthanen. Im Leben und Sterben, vor Gott und
den Menschen schied sich der Gutsherr von seinen Unterthanen
durch eine unübersteigliche Schranke. Er hatte seinen besonderen
Kirchensitz, sein besonderes Weihwasser, seinen abgesonderten Be-
gräbnisplatz. Er war der Patron und Gerichtsherr seiner Ge-