22 Unsere Sozialdemokratie
des 17., dem Mahomedanismus des 7. Jahrhunderts. Derselbe
Schwung des Glaubens, der Hoffnung und Begeisterung, derselbe
Geist der Ausbreitung und Herrschsucht, dieselbe Heiligkeit und Un—
duldsamkeit, derselbe Ehrgeiz, den Menschen und das ganze mensch-
liche Leben nach einem ausgeklügelten Modell umzuschmelzen. Die
neue Lehre unterscheidet sich aber von den vorausgegangenen da—
durch, daß sie im Namen der Vernunft, statt im Namen Gottes,
die Herrschaft beansprucht. Unter dem Rufe: „Rückkehr zur
Naturl“ wird jetzt die Abschaffung der gesamten bestehen-
den Gesellschaft verlangt. Das war schon das Kriegsgeschrei
des ganzen Bataillons der Encyklopädisten. Da erhebt sich von
einer anderen Seite derselbe Schrei. Das Bataillon Rousseau
und der Sozialisten stürmt seinerseits an gegen die bestehende
Staatsordnung. Die Untergrabung, welche dieses Bataillon an
den Mauern unternimmt, erscheint beschränkter, aber sie ist nicht
minder wirkungsvoll, und die Maschine der Zerstörung, welche
sie anwendet, ist auf eine neue Idee und Vorstellung von der
Menschennatur gegründet.
Diese Idee hat Rousseau vollständig aus seinem eigenen
Haupt und Herzen geschöpft: ein seltsamer, eigentümlicher und
bedeutender Mensch, der aber von seiner Kindheit an den Keim
der Narrheit in sich trug und schließlich ganz und gar verrückt
wurde. Ein bewunderungswürdiger und doch nicht im Gleich-
maß stehender Geist, in welchem die Empfindungen, Erregungen
und Einbildungen zu stark wurden; zugleich blind und scharf-
sichtig, zugleich ein echter und doch kranker Dichter, der statt
der Dinge seine Träume sieht, so lebt er in einem Roman und
stirbt unter dem Albdrücken, welches er sich selbst bereitet. Un-
fähig, sich selbst zu zügeln und zu führen, nahm er seine Ent-
schlüsse für Ereignisse, seine Launen für Entschlüsse und den An-
schein, den er sich gab, für den Charakter, den er zu heben
glaubte. In jeder Beziehung im Mißverhältnis zum Laufe der
Dinge in der Welt, sich stoßend, sich verletzend, sich beschmutzend
an jeder Ecke des Weges, mit Schlechtigkeiten, Niederträchtig-
keiten und Verbrechen beladen, bewahrt er gleichwohl bis ans