Full text: Unsere Sozialdemokratie im Spiegel der ersten französischen Revolution.

im Spiegel der ersten französischen Revolution. 23 
Ende zartes und tiefes Gefühl, Menschlichkeit, Zärtlichkeit, die 
Gabe der Thränen, die Fähigkeit zu lieben, leidenschaftlichen 
Rechtssinn, religiöses Gefühl, Begeisterung, ebensoviele lebens- 
volle Wurzeln, in denen der edle Saft strömt, während Stamm 
und Zweige absterben, sich verbilden und verwittern unter der 
Ungunst der Luft. Wie soll man solche Widersprüche erklären? 
Wie erklärt Rousseau sich felbst? Rousseau verallgemeinert: 
von sich selbst eingenommen bis zum Wahnsinn, und in der 
Welt nichts sehend als sich selbst, bildet er auch die Mensch- 
heit nach seinem Bilde und „beschreibt sie wie er sich 
selbst fühlt“. Natürlich findet sein Selbstgefühl dabei seine 
Rechnung, denn man ist sehr froh, wenn man das Urbild und 
Modell der Menschheit ist. Die Bildsäule, welche man sich selbst 
errichtet, gewinnt größere Bedeutung, man erhebt sich in seinen 
eigenen Augen, wenn man in seinen „Bekenntnissen“ die Be- 
kenntnisse des gesamten menschlichen Geschlechtes zu offenbaren 
glaubt. Rousseau ruft alle Generationen mit der Trompete des 
jüngsten Gerichtes zusammen und stellt sich dreist vor den Augen 
der Menschen und des höchsten Richters hin mit den Worten: 
„Möge ein Einziger dir sagen, wenn er es wagt: ich 
war besser als dieser Mensch!“ Aller Schmutz, den er an 
sich weiß, ist ihm seiner Meinung nach von außen gekommen. 
Den Umständen muß man seine Niedrigkeiten und Laster zu- 
schreiben: „Wenn ich in die Hände besserer Lehrer gefallen wäre“, 
schreibt er, „so wäre ich ein guter Christ, Familienvater, Freund, 
Arbeiter, ein guter Mensch in jeder Beziehung geworden.“ Also 
die Gesellschaft allein ist an allem schuld. Ebenso wie 
bei ihm, ist bei jedem das eigentliche Wesen gut. „Seine 
erste Bewegung“, sagt er, „ist immer gerade und aufrichtig. Das 
Grundgesetz aller Moral, über welches ich in meinen Schriften, 
Betrachtungen angestellt habe, ist, daß der Mensch von Natur 
gut ist, die Gerechtigkeit und die Ordnung liebt. Die Gesell- 
schaft aber verdirbt ihn und macht ihn elend.“ 
Um diese Grundidee bildet sich nun seine spirituali- 
stische (überfinnliche) Lehre. Ein so edles Wesen wie der
	        
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