36 Unsere Sozialdemokratie
neue Gesellschaft bilden; er muß an dem gemeinsamen Beschluffe
seinen Anteil haben. Er hat sich nur unter dieser Bedingung
verpflichtet; er ist nur darum gehalten, die Gesetze zu
beachten, weil er mit dazu beigetragen hat, sie zu
machen, und er ist nur deshalb zum Gehorsam gegen
die Behörden verpflichtet, weil er diese mit gewählt
hat. Auf dem Grunde aller gesetzlichen Macht muß man seine
Zustimmung und sein Votum finden, und in dem niedersten
Bürger müssen die höchsten öffentlichen Gewalten ein Glied ihres
Herrn und Meisters, des Volkswillens, anerkennen. Niemand
kann diesen seinen Anteil an der Souveränität veräußern oder
verlieren; sie ist unzertrennlich von seiner Person, und wenn er
ihre Ausübung auf andere überträgt, so erhält er sich doch deren
Eigentum. —
Freiheit, Gleichheit, Volkssouveränität, das sind
die ersten Artikel des Sozialkontraktes. Daraus ergeben
sich alle anderen Rechte des Staatsbürgers und die Grundzüge
der neuen Verfassung und Gesellschaftsordnung von selbst. Die
Abgeordneten des Volkes z. B. sind daher nur und können
daher nur sein dessen Stellvertreter, nur seine Beauftragten, sie
können nichts endgültig beschließen, jedes Gesetz, wel-
ches das Volk nicht endgültig genehmigt hat, ist nichtig,
ist kein Gesetz. )
Man glaubt doch geradezu eine Abschrift dieser Worte
Rousseaus vor sich zu haben, wenn man in dem neuesten Er-
furter (1891er) Programm unserer Sozialdemokratie folgende
„Forderungen“ dieser Partei aufgezählt findet: ·
1) Aufhebung jeder Beschränkung politischer Rechte,
außer im Falle der Entmündigung. 2) Direkte Gesetzgebung durch
das Volk vermittelst des Vorschlags- und Verwerfungsrech—
tes. Selbstbestimmung und Selbstverwaltung des Volkes in
Reich, Staat, Provinz und Gemeinde. Wahl der Behörden durch das
Volk, Verantwortlichkeit und Haftbarkeit derselben. 4) Abschaffung.
*) Rousseau, Contrat social I, Kap. 1, 13—15, IV, Kap. 1.
Condorcet 9. Epoche.