Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

IV. Abschnitt: Bundesrat. 93 
Die Abstimmung erfolgt in der in Art. 1 und 6 der Reichs- 
Verfassung bezeichneten Reihenfolge. Die Gesamtheit der zuständigen 
Stimmen eines Staates kann aber nur einheitlich abgegeben werden. 
(Reichs-Verfassung Art. 6, Abs. 2.) 
Bei der Beschlußfassung über eine Angelegenheit, welche nach 
den Bestimmungen dieser Verfassung nicht dem ganzen Reiche 
gemeinschaftlich ist (nämlich bei den Reservatrechten), werden die 
Stimmen nur derjenigen Bundesstaaten gezählt, welchen die An- 
gelegenheit gemeinschaftlich ist (z. B. Reichs-Verfassung Art. 4, Abs. 1, Art. 85, 
Abs. 2. Art. 38. Abs. 3, Art. 46, Abs. 2, Art. 52, Abs. 1 und bayerisches 
Schlußprotokoll 1V, Sten. Bericht 1870 II, S. 122, 124). 
Nicht vertretene oder nicht instruierte Stimmen werden nicht 
gezählt. Bei Stimmengleichheit giebt die Präsidialstimme den Ausschlag 
(Reichs-Verfassung Art. 7, Abs. 3). Unter Präsidialstimme ist hier die 
Stimme Preußens zu verstehen und nicht etwa die des Kaisers; auch 
nicht die des Reichskanzlers als Vorsitzenden, da dieser mit seinen 
Kollegen innerhalb des Bundesrates nicht konkurrieren kann (Sten. 
Bericht 1867, S. 376 ). 
Die erforderlichen Vorlagen werden nach Maßgabe der Beschlüsse 
des Bundesrats im Namen des Kaisers an den Reichstag gebracht, 
wo sie durch Mitglieder des Bundesrates oder durch besondere von 
letzterem zu ernennende Kommissarien (die nicht Bevollmächtigte zu 
sein brauchen) vertreten werden (Reichs-Verfassung Art. 16, Sten. Bericht 
1867 I, S. 6, Abs. 7 und Sten. Bericht 1867 II, S. 1112). 
Sind die Ansichten einer Regierung von der Maojorität des 
Bundesrates nicht adoptiert worden, so hat das betreffende Mitglied 
des Bundesrates das Recht, auch noch im Reichstage zu erscheinen, 
und muß daselbst auf Verlangen jederzeit (und zwar auch nach Schluß 
der Diskussion und zur Geschäfts-Ordnung des Reichstags) gehört 
werden, um die Ansichten seiner Regierung zu vertreten (Reichs-Verfassung 
Art. 9, Sten. Bericht 1867 I, S. 37 2). 
Die Verhandlungen des Bundesrates sind nicht öffentlich und 
werden auch nicht publiziert, sondern nach Sessionen und Jahrgängen 
in zwei als Manuskript gedruckten Sammlungen in den Drucksachen 
des Bundesrates zusammengestellt (Sten. Bericht 1872 II, S. 931). 
Die Verhandlungen sind durch die §§ 105 und 106 des Reichs- 
Strafgesetzbuchs geschützt: Dieselben lauten: 
8 105. Wer es unternimmt, den Senat oder die Bürgerschaft 
einer der freien Hansestädte, eine gesetzgebende Versammlung des 
Bundes, des Zollvereins oder eines Bundesstaats auseinander zu 
sprengen, zur Fassung oder Unterlassung von Beschlüssen zu nötigen 
oder Mitglieder aus ihnen gewaltsam zu entfernen, wird mit Zucht- 
haus nicht unter fünf Jahren oder mit Festungshaft von gleicher 
Dauer bestraft. 
Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft nicht 
unter einem Jahre ein.
	        
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