Talleyrand in Wien. 285
liegenden Keim der Zwietracht geschickt weiter zu entwickeln; hier
ließ sich der Keil einsetzen um den Bund der übrigen Mächte
zu sprengen, auf diese Weise konnte Frankreich, indem es
als Hort der Schwachen auftrat, das Protectorat über die um
ihre Selbständigkeit bangenden deutichen Kleinstaaten wieder-
gewinnen und an der Spitze einer solchen Clientel sich eine
neue politische Stellung erobern 1). Was also bei Ludwig XVIII.
wesentlich Sache des Gefühls, das war bei Talleyrand schlaue
Berechnung; an und für sich war es ihm ganz gleichgiltig, was
aus dem Könige von Sachsen würde.
Talleyrand nahm also nach Wien die Instruction mit, die
Erhaltung Sachsens für den König Friedrich August zu ver-
langen. Die Dreistigkeit seines Auftretens, die pathetischen
Betheuerungen von Frankreichs Uneigennützigkeit, vor allem die
Berufung auf das unverletzliche Princip der Legitimität, das-
selbe, welches schon die sächsischen Diplomaten so vielfach, freilich
bisher immer nur tauben Ohren gepredigt hatten, das aber
in dem Munde des Vertreters von Frankreich eine ganz andere
Bedeutung gewann, thaten bei Allen, auf die sie berechnet
waren, die beabsichtigte Wirkung. Die Opposition gegen die
russischen Ansprüche auf Warschau, die zu einem großen Theil
gegen Preußen gemünzt war, gewann dadurch Kraft und Nach-
druck. Ein einmüthiges Zusammenstehen der Alliierten würde
Talleyrand bald zum Schweigen gebracht haben; ihr Mangel
an Ubereinstimmung machte seine Stärke aus.
Sobald Alexander die von dieser Seite her seinen Plänen
drohende Gefahr gewahr wurde, beschied er Talleyrand zu einer
Unterredung zu sich, ohne zu bedenken, daß er dadurch dem-
selben selbst das Recht einräumte über Sachsen und Polen
mitzusprechen. Noech wurde von ihnen das eine wie das andere
bloß durch Umschreibung genannt. Der Kaiser deutete auf den
König von Sachsen, wenn er von Denjenigen sprach, welche die
Sache Europas verrathen hätten, und Talleyrands Antwort:
„Das ist eine Frage der Zeit und eine Wirkung der schwie-
1) Viel-Castel, Histoire de la restauration II, 172.