Landtag von 1842/4. 529
der Sffentlichkeit und Mündlichkeit, die von nun an einen Haupt-
streitpunkt zwischen der Regierung und der zweiten Kammer
bilden sollte, zu eingehender Discussion gelangte. Obgleich letz-
tere schon 1837, wenn auch nur mit zwei Stimmen Majorität,
auf v. Dieskaufs Antrag die Regierung angegangen hatte die
Einführung von Offentlichkeit und Mümlichkeit in Berathung
zu ziehen, obgleich jetzt, von der Opposition angeregt, Petitionen
aus allen Landestheilen das Nämliche verlangten, hielt der
Regierungsentwurf an der alten Inquisitionsmaxime fest und
suchte das Verfahren nur durch genauere Protokollierung,
bessere Besetzung der Gerichtsbank und ein Schlußverhör unter
Zuziehung des Vertheidigers zu verbessern.
Es war eine weit über das Rechtsgebiet hinaus auf das
der Politik übergreifende, in die Wissenschaft wie in die Praxis
tief einschneidende Frage. Der Entwurf kam zuerst in der
ersten Kammer zur Berathung; es entspann sich darüber eine
lange und heiße Debatte, wie sie in diesem Saale noch nicht
vernommen worden war, denn obenan stand für Viele die
Frage, ob mit dem neuen Gesetz die Patrimonialgerichtsbarkeit
verträglich sei, und während die Besonnenen sich bewußt waren
dem Radicalismus in die Hände zu arbeiten, wenn man die
Reformen nicht selbst vollbringe, empfanden Andere ein Grauen
vor den hinter der Offentlichkeit und Mündlichkeit lauernden
Schwurgerichten, der Schlange hinter den Blumen, und be-
weinten zum Voraus ihr Vaterland, wenn je darin eine solche
Justiz eingeführt werden sollte. Selbst hier blieb die Inqui-
sitionsmaxime nur mit 3 Stimmen Majorität Siegerin, außer-
dem nahm die Kammer einen Antrag ihrer bedeutendsten
juristischen Autorität, des Domherrn Günther, auf Reorgani-
sation der Criminalgerichte an, wonach diese auch in erster
Instanz collegialisch gebildet, jedoch nur die größeren und wich-
tigeren Verbrechen an sie gewiesen, die geringeren den bisherigen
Gerichten belassen, die Criminalgerichtsbarkeit von den Patri-
monialgerichtsherren an den Staat abgegeben werden sollte.
Auch in der zweiten Kammer war die Erörterung der Princip-
frage ungemein lebhaft. Der Referent Braun, der durch
Flathe, Neuere Geschichtr Sachsens. 34