Volkswirthschaftliche Fragen 1847. 561
Allen, von denen sie in der Theurungszeit unterstützt worden
war, öffentlich ihren Dank aus und ließ zur Erinnerumg eine
Denkmünze prägen. So wohlthuend solche Erfahrungen be-
rühren mochten, so war es doch noch ungleich wichtiger, daß
jener plötzlich hereingebrochene Nothstand die Aufmerksamkeit in
einem noch nicht dagewesenen Maße auf die Nahrungsfrage und
verschiedene damit zusammenhängende Gebrechen und Entwick-
lungsphasen der bürgerlichen Gesellschaft, auf Proletariat und
Pauperismus, Organisation der Arbeit u. s. w. hinlenkte und
dadurch manchen fruchtbaren Samen künftiger Ideen ausstreute.
Biedermann hielt in Dresden Vorträge über den Socialismus;
eine Versammlung von Abgeordneten sämtlicher 32 sächsischer
Gewerbvereine zu Chemnitz tauschte ihre Ansichten über die
Lage des Gewerbstandes aus. Man verhehlte sich nicht, daß
alle gegenwärtig gegen den Nothstand ergriffenen Maßregeln
doch nur die Oberfläche des Übels berührten, daß insbesondere
angesichts des um sich greifenden Übergangs vom Kleingewerbe
zur Großindustrie kräftigere Mittel gegen die Gefahr der Ver-
armung, gegen die Immorglität und Verbrechen der Armuth.
gefunden werden müßten. Die Frage, wie den ärmeren Classen
genügende Arbeit zu verschaffen, entflammte aufs neue den
Kampf zwischen Schutzzöllnern und Freihändlern; jene, die Be-
förderer der nationalen Arbeit, wie sie sich gern nannten,
priesen die höhere Besteuerung des ausländischen Marktes als
Palliativ gegen die zunehmende Verarmung an, diese verwarfen
jede künstlicbe Hebung der Industrie, welche das Mißverhältniß
zwischen dem übermäßigen Zuströmen der Arbeiter zu der größere
Unabhängigkeit gewährenden und geringere körperliche Anstren-
gung fordernden industriellen Beschäftigung und dem Mangel
an Arbeitern bei der Landwirthschaft nur noch vergrößern müsse.
Nichts aber predigte der Nothstand eindringlicher als die Noth-
wendigkeit einer Reform des Innungswesens, der Beseitigung
jener widernatürlichen, die Entwickelung des einzelnen Hand-
werks hemmenden Trennung des Arbeitsgebietes; vor allem
erhoben sich die gewichtigsten Stimmen gegen die Monopolien
der Müller, den Innungszwang der Bäcker und die Brod-
Flatbe, Neuere Geschichte Sachsens. 36