Landtag. Erster Wahlgesetzentwurf. 581
die zweite einstimmig beitrat. Der Adresse der zweiten Kammer
dagegen war es auch diesmal nicht beschieden an ihr Ziel zu ge-
langen; denn da die darin aufgenommene Empfehlung des Ein-
kammersystems, nachdem das Ministerium sich dagegen erklärt
hatte, nicht durchgieng, so wurde bei der Endabstimmung die
ganze Adresse mit geringer Majorität verworfen.
Es war ein unglückliches, in seinen Folgen überaus ver-
derbliches Experiment, welches die Regierung mit diesem neuen
Wahlgesetze machte. Das Eigenthümliche desselben bestand
darin, daß es sich auf die Reform der zweiten Kammer be-
schränkte, die erste unverändert ließ und die Entscheidung über
die Frage, ob Ein= oder Zweikammersystem, auf den nächsten
Landtag, wenn die Volkskammer nach dem neuen Modus ge-
bildet sein würde, versparte, das Ministerium also auf die
eigene Initiative verzichtend, hauptsächlich nur die Ansicht der
Kammermajorität über diesen Angelpunkt des ganzen künftigen
Staatslebens zu erfahren wünschte 1). Aber das zweideutige
Werk der Regierung fand bei keiner Partei Beifall. Die Linke
drang auf gänzliche Beseitigung der ersten Kammer, sie beibehalten
heiße nur der Reaction ein Nest vorrichten; den Gemäßigteren
galt das Einkammersystem als Anfang der Republik, aber sie
verlangten eine Reform der ersten Kammer, die auch nach
ihrer Überzeugung in der bisherigen Zusammensetzung zur Un-
benutzen kann um zwischen den Besitzern der Rittergüter und den Übrigen
Bewohnern des platten Landes, denen wir sämtlich angehören, Zwietracht
und Mißtrauen auszustreuen.“
1) „Die Frage, ob Ein= oder Zweikommersystem“, erläuterte Braun,
„k#önne vor Vollendung der Reichsverfassung nicht wohl entschieden wer-
den, weil dann erst sich ersehen lassen werde, welche Vertretung den Ein-
zelstaaten verbleibe; ergebe sich, daß für diese künftig eine Art Provinzial-
vertretung genüge, so werde allerdings das Einkammersystem ausreichen;
ein zweiter Grund liege in den Verträgen, die durch Aushebung der ersten
Kammer gelöst werden müßten. Halte jedoch die Kammer diese Frage
kür so präjudiciell, daß sie ohne deren Lösung keine Entscheidung fassen
zu können glaube, so sei die Regierung geneigt, hierüber in Berathung
zu treten um womöglich noch viesem Landtage einen desfallsigen Entwurf
vorzulegen.“