588 Das Jahr 1848.
Geheimniß. Schon fing die Reaction an sich kecker hervor-
zuwagen, sie hoffte auf Oberländers Sturz, der dann den des
ganzen Märzministeriums nach sich ziehen werde; man flüsterte
von einem Ministerium v. Langenn. Die Linke dagegen meinte,
„daß noch einige Märzluft mehr über den Ministertisch wehen
müsse“ und arbeitete auf ein Ministerium Oberländer los.
Je länger das neue Wahlgesetz auf sich warten ließ, desto
allgemeiner verbreitete sich die Meinung, es seien Oberländer
in Bezug auf dasselbe nicht bloß im Ministerrath sondern
jenseits desselben, in den Gegenwirkungen einer Camarilla, in
der Weigerung des Königs unüberwindliche Schwierigkeiten er-
wachsen, bis Braun und v. d. Pfordten in den Kammern
ausdrücklich die Versicherung gaben, daß der Grund der Ver-
zögerung lediglich im Schoße des Ministeriums selbst liege.
Endlich gelangte das so ungeduldig erwartete Wahlgesetz
in seiner neuen Gestalt an die Kammern. Der Form nach
behielt es das Zweikammersystem bei, in Wirklichkeit gab es
dasselbe, indem es fast jedes Unterscheidungsmerkmal der ersten
Kammer verlöschte, auf. Es theilte das Land in 76 Wahl-
bezirke, von denen jeder durch directe Wahl einen Abgeordneten
für die zweite Kammer, je zwei einen für die erste wählen.
Bei den Wahlen zur zweiten Kammer ist stimmberechtigt
jeder volljährige und felbständige, wählbar jeder 30 Jahr
alte Staatsbürger, für die erste nur, wer ansässig, wählbar
nur, wer wenigstens 10 Thlr. directe Steuern entrichtet,
außerdem wählen für dieselbe 1 Abgeordneten die Univer-
sität, je 3 sämmtliche höhere Anstaltslehrer, die Geistlichen
und die Volksschullehrer. Bei eintretenden Meinungsverschieden-
heiten sollen beide Kammern zusammentretend nach Köpfen
abstimmen und auf solche Weise gewissermaßen eine Ver-
schmelzung des Ein= und Zweikammersystems stattfinden. Um
den Ruf nach einer constituierenden Versammlung zum Schweigen
zu bringen war das Gesetz nur provisorisch, erst die nächsten,
nach demselben zusammengesetzten Kammern sollten die definitive
Entscheidung über dasselbe und namentlich über die Beibehal-
tung des Zweikammersystems geben.