Die Reichsverfassung. 611
Aufforderung an die Regierung ihre gesamten Truppen der
Centralgewalt zur Durchführung der Reichsverfassung zur Ver-
fügung zu stellen, folgten unmittelbar. Wo es nur den An-
griff auf das Ministerium galt, reichten sich beide Fractionen
der Linken einträchtig die Hand. Das Decret vom 19. März
wegen der verweigerten Abberufung des Gesandten in-Wien
wurde einem außerordentlichen Ausschusse zur Begutachtung
überwiesen, um dann gestützt auf die Volkssympathien dem
Ministerium ein eclatantes Mißtrauensvotum zu geben. Am
21. April erklärte die erste Kammer, nachdem sie in der
Debatte die Regierung mit einer Fluth von Vorwürfen über-
schüttet hatte, daß sie in der Verzögerung der Ausführung
ihrer früheren Beschlüsse ein die Ehre und die Selbständigkeit
des sächsischen Volkes gefährdendes Regierungssystem und eine
Unverträglichkeit mit den Bedingungen erblicke, unter welchen
allein die Kammern mit der Regierung zum Wohle des Vater-
landes fortzuwirken im Stande seien, daß ferner die Re-
gierung von ihr eine Genehmigung des Aufwandes für die
fortgesetzte könneritzische Gesandtschaft nicht zu crwarten habe.
Dieser Erklärung schloß sich am 23sien die zweite Kammer an;
„die verweigerte Abberufung“, rief Tzschirner, „ist der Fehde-
handschuh, den die Reaction der Demokratie hinwirft; jetzt
müssen wir zeigen, daß wir den Kampf siegreich aufnehmen.
Das Ministerium muß in dieser Frage nachgeben oder wir
sind verloren!“ Zugleich nahm die Kammer nunmehr
das am 28. März vertagte Mißtrauensvotum gegen 24
Stimmen an.
Das Ministerium Held war in Betreff der deutschen Frage
keineswegs in sich einig. Die Minister Weinlig und v. Ehrenstein
waren für Anerkennung der Reichsverfassung, v. Beust und
Rabe erst dagegen; Held selbst schwankte; auch des Königs
Catschluß scheint bis dahin noch nicht unabänderlich festge-
standen zu haben. Denn wenn auch die Frage durch die Ab-
lehnung des Königs von Preußen einen Theil ihrer praktischen
Bedeutung verloren hatte, so war doch eben die mangelude
Zustlmmung der deutschen Fürsten ein Hauptmotiv für jene
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