78 König Friedrich August I. 1806—1813.
So großes Interesse das sächsische Cabinet um des Herzog-
thums Warschau willen an diesem zweiten polnischen Kriege
nahm, so erhielt es doch über die Absichten des Kaisers in
Bezug auf Polen nicht die geringste Andeutung. Nur daß
dieses nicht bestimmt sei, bei dem Hause Sachsen zu bleiben,
wurde immer weniger zweifelhaft. Zwar das Gerücht, welches
den König von Westfalen für den Thron des neuen Polenreichs
bestimmte, verflog bald, obgleich Jeröme tactlos genug war,
noch in Sachsen die Glückwünsche seiner Höflinge zu seiner
Beförderung anzunehmen, und davon, daß der Kaiser schon
dem Erzherzog Ferdinand Aussicht auf den polnischen Thron
gemacht hatte, wußte man in Dresden nichts; einen bedenklichen
Eindruck machte es aber, daß der Kaiser den erneuerten Vor-
schlag wegen Ernennung des Prinzen Anton zum Vieekönig
zurückwies und statt dessen den König nöthigte, dem Minister-
conseil des Herzogthums unbeschränkte Vollmacht zu übertragen
(26. Mai), damit dasselbe bei der Dringlichkeit der Umstände
ganz selbständig handeln könne. Zugleich erfolgte die Ernennung
des Erzbischofs von Mecheln, de Pradt, zum außerordentlichen
Gesandten des Kaisers bei der warschauer Regierung. Wie er
dieselbe verstand, lehrt de Pradt'c Instruction: Der Gesandte
soll nicht bloß durch seinen Rang alle anderen, französischen
wie polnischen, Civil= wie Militär-Auctoritäten beherrschen, er
soll nicht bloß überhaupt großen Einfluß, sondern eine wirkliche
und vollständige Auctorität über die Verwaltung, bis in das
Detail derselben üben; er wird daher den Sitzungen des
Ministerconseils beiwohnen und insbesondere alle Hilfsqguellen
des Landes für den Krieg ausnutzen, alle Forderungen fran-
zösischer Militärbehörden unterstützen und deren schleunige Aus-
führung bewirken. „Das Herzogthum"“, fügt der Kaiser hin-
zu, „verlangte seit langem eine Centralauctorität; sie ist vor-
banden in der gewissermaßen königlichen Gewalt, mit welcher
das Ministerconseil bekleidet ist, besonders aber in der An-
wesenheit des Gesandten, der so zu sagen in seiner Hand die
Minister, die Generale und alle Behörden zu vereinigen hat.“ 1)
) Corresp. de Nap. XXIII, 516.