Full text: Geschichte des Kurstaates und Königreiches Sachsen. Erster Band: Von den frühesten Zeiten bis zur Mitte des sechzehnten Jahrhunderts. (1)

Der Humanismus in Thüringen. 448 
kenden Mittelpunkt gefunden, so war es dasselbe Thüringen, 
wo sich die aus Italien nach Deutschland verpflanzten klassischen 
Studien zuerst niederließen und ein Kreis von begeisterten Jün- 
gern der neuen Wissenschaft eine eigene thüringische Schule be- 
gründete, die ebenfalls in Erfurt ihren Sitz aufschlug und an 
der dortigen Universität rasch die Oberhand gewann. Als die 
Schöpfung einer freien, auf ihre Unabhängigkeit stolzen Bürger- 
schaft gerade beim Beginn des großen Schismas gegründet, hat 
die Universität Erfurt im Gegensatz zu den übrigen bis dahin 
vorhandenen Hochschulen, die mit Ausnahme der kurzen Unter- 
brechung zur Zeit des Schismas stets sich abwehrend und wenig 
empfänglich gegen die Fortschritte der geistigen Entwickelung 
verhielten, nie den freisinnigen, antihierarchischen Geist ver- 
leugnet, dem sie ihren Ursprung verdankte. Zu Kostnitz glänzten 
als ihre Vertreter Johann Zachariä und Angelus Dobelin, zu 
Basel Matthäus Döring, einer der eifrigsten Vorkämpfer für 
das Koncil, und während die übrigen Universitäten bald sämmt- 
lich wieder in die alten Bahnen einlenkten, war Erfurt die 
einzige, die den Principien des baseler Koncils treu blieb. Hier 
lehrte bis 1460 der edle Johann von Wesel, hier eiferte Jo- 
hann von Dorsten gegen Wallfahrten und Reliquien. „Erfordia- 
Praga“ ward sprichwörtlich. Daher wurde auch gerade hier 
die Scholastik, wo sie nie zu so unbedingter Herrschaft gelangt 
war wie anderwärts, am frühesten durch das Eindringen der 
neuen Doctrinen erschüttert und gebrochen. Nachdem bereits in 
den sechziger Jahren die ersten aus Italien kommenden „Poeten“ 
den Samen der klassischen Studien hier ausgestreut hatten, stieg 
das Ansehen der erfurter Hochschule, getragen durch die ge- 
feierten Namen eines Henning Goede, Jodok Trutvetter und 
Bartholomäus Arnoldi (Usingen) so, daß nach Luthers Zeug- 
niß alle anderen dagegen als kleine Schützenschulen galten. Zahl- 
reiche Druckereien arbeiteten daselbst au der Vervielfältigung 
der Klassiker. Als die ersten entschiedenen Vertreter der neuen 
Richtung sind Maternus Pistoris und Nicolaus Marschalk, als 
eigentlicher Vater des erfurter Humanismus aber ist der go- 
thaer Kanonieus Konrad Mutianus Rufus zu neunen, 
der für die Verdächtigungen und Verfolgungen seiner Mit-
	        
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