Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 16.—18.) 57
Die Redner aller Parteien sprechen sich sympathisch über die An-
träge aus, die Regierung erklärt sie für unausführbar.
16. Februar. Der Reichstag lehnt folgenden Antrag Auer
(Soz.) über die Koalitionsfreiheit ab:
Die Reichsangehörigen ohne Unterschied des Geschlechts haben das
Recht, sich zu versammeln. Zur Veranstaltung und Abhaltung von Ver-
sammlungen bedarf es weder einer Anmeldung bei einer Behörde, noch einer
Erlaubnis durch eine Behörde. Versammlungen und Umzüge, die auf
öffentlichen Straßen und Plätzen stattfinden, sind spätestens sechs Stunden
vor ihrem Beginn durch den Veranstalter oder Einberufer bei der mit der
Ordnung des öffentlichen Verkehrs betrauten Ortsbehörde anzuzeigen.
17. Februar. Das preuß. Abgeordnetenhaus bespricht
beim Etat des Ministers des Innern mehrere Fälle von polizei-
lichen Übergriffen aus den letzten Monaten, wobei scharfe Angriffe
gegen die Polizeiverwaltung laut werden.
17. Februar. (Preußen.) Durch eine Explosion schlagender
Wetter in der Zeche „Vereinigte Karolinenglück“ werden 115 Berg-
leute getötet.
18. Februar. (Reichstag.) Militäretat. Bebel und Goßler
über Politik in der Armee. Einfluß der Sozialdemokratie.
Abg. Bebel (Soz.) bespricht angebliche Fälle von Soldatenmiß-
handlungen und befürwortet die Einführung einer Miliz nach Schweizer
Muster, wodurch viele Kosten erspart und die Nation viel arbeitskräftiger
werden würde. In der Armee würde gegen die Sozialdemokraten agitiert,
trotzdem Politik nicht getrieben werden solle. Preuß. Kriegsmin. v. Goßler:
Die Behauptungen Bebels über Mißhandlungen seien unkontrollierbar.
Was das Politiktreiben in der Armee betrifft, so sagt der Redner: Die
Behauptungen des Herrn Abg. Bebel über das Hereintragen von Politik
in die Armee sind für mich unkontrollierbar. Wenn vor längerer Zeit in
einer Instruktionsstunde, wenn ich richtig verstanden habe, oder beim Exer-
zieren jemand „Jude Itzig“ genannt worden ist, so liegt darin, glaube ich,
doch kein Hineintragen von Politik in die Armee. (Sehr richtig! und
Heiterkeit rechts.) Das ist einfach eine Beleidigung, die bestraft werden
muß ebenso, wie in dem aus Neu-Breisach zur Sprache gebrachten Falle.
Auch dort sind angeblich Juden und Sozialdemokraten beschimpft worden.
Wenn sich die Leute beschweren, wird die Remedur nicht ausbleiben. Wenn
ferner ein Offizier erwähnt worden ist, der von den Irrlehren der Sozial-
demokratie gesprochen hat, so kann ich zwar nicht beurteilen, ob die Ge-
legenheit, bei der er das gesagt hat, geschickt gewählt war, seine Meinung
aber über diese Irrlehren teile ich vollkommen. (Sehr richtig! rechts.)
Ich glaube, die Sozialdemokratie irrt sich in Bezug auf ihren Einfluß.
Nach meiner innigsten Ueberzeugung hat sie den Höhepunkt ihres Einflusses
längst überschritten. (Lachen bei den Sozialdemokraten. Sehr richtig!
rechts.) Meiner Auffassung nach ist hier weder durch den Abg. Bebel noch
seitens seiner Genossen etwas Neues vorgebracht worden. (Sehr richtig!
rechts.) Ich meine, die Herren nähren sich von Versprechungen, die sie
nicht erfüllen können, und von Behauptungen, die sie nicht beweisen können.
(Sehr richtig! rechts. Zuruf. Große Heiterkeit.) Da ich in der Lage bin,