Absall vom orthodoxen Lutherthum. 101
niß einer Verständigung mit den Reformirten, ausdrücklich auf-
gehoben, den akademischen Lehrern, bald auch allen Predigern
alles dogmatische Gezänk, d. h. das damals auf allen Kanzeln
heimische Eifern gegen den Calvinismus untersagt, das Ober-
consistorium aufgelöst und dafür das alte zu Meißen wieder-
hergestellt, alle theologischen Druckschriften einer Censur unter-
stellt, — Maßregeln, die, wennschon von einem großen Theile
der Gebildeten gebilligt, dennoch nicht nur das Mifßfallen der
Stände erregten, sondern auch den ganzen orthodoxen Theil
der Geistlichkeit herausforderten. Der Hofprediger Mirus er-
öffnete den Kampf, indem er geradezu Crell, die Doctoren
Wesenbeck und May in Wittenberg und den meißner Rector
Ladislaus beim Kurfürsten als Kryptocalvinisten verklagte und
eine förmliche Zusicherung, „daß in den kurfürstlichen Landen
keine andere Religion geduldet werden solle“, verlangte. Obgleich
Crell hicrauf erklärte, er sei hinsichtlich der Lehre der Meinung
Philippi, in dem ihm abgeforderten Bekenntniß ausdrücklich
Calvins Lehre verwarf und sich zu der Luthers bekannte, so
befriedigte dies doch den aufgebrachten Zeloten so wenig, daß er
mun nicht nur seinen Amtsbruder Salmuth dennncirte, sondern
sogar seine Angriffe von der Kanzel herab gegen den Kurfürsten
selbst richtete, bis er endlich auf den Königstein gebracht und
erst gegen Ausstellung eines Reverses freigelassen wurde. Unter
solchen Umständen fand der Kanzler David Pfeifer, einst ein
Hauptbeförderer der Concordienformel, seine Stellung nicht
länger haltbar; er nahm seine Entlassung und sein Nachfolger
wurde Crell, der nun im Besitz des uneingeschränkten Ver-
trauens seines Herrn sofort eine tief eingreifende Veränderung
vornahm, indem er den Geheimenrath mit dem Hofrathe ver-
einigte, diesem gesammten Rathe jedoch nur die gewöhnlichen
Regierungsgeschäfte überwies, wogegen die ganz geheimen der
Entscheidung des Kanzlers vorbehalten blieben, derart, daß
er nicht nur über diese dem Kurfürsten unmittelbar Vortrag
zu halten und von ihm Bescheid zu erholen, sondern auch selbst
zu bestimmen hatte, welche Angelegenheiten unter die letztere
Kategorie zu rechnen seien. Auf diese Weise erreichte Crell,