Verfolgung der Kryptocalvinisten. 107
So war die Säuberung der Kirche und des Landes voll-
bracht. Aber doch lagen auch dieser zweiten Reaction weit
weniger religisse als weltliche und politische Motive zu
Grunde. Es war ein richtiger Instinct, der dem sächsischen
Adel in dem orthodoxen Lutherthum einen Verbündeten, in
dem republikanischen Elemente des Calvinismus eine Gefahr
für die Aufrechthaltung seiner Standesprivilegien zeigte, der
sie zu Gegnern des französischen Bündnisses und zu Freunden
des Anschlusses an Osterreich machte; vor allem andern aber
lechzten sie nach Rache an dem bürgerlichen Emporkömmling,
der es gewagt hatte, die adeligen Räthe zu überflügeln und
unvorsichtig die Vorrechte ihres Standes anzutasten.
Während der gestürzte Kanzler auf den Kön igstein gebrach
wurde, wo er ein elendes Stüblein angewiesen erhielt, das
dem am Podogra Leidenden nicht eimnal gegen die Unbilden
der Witterung hinreichenden Schutz gewährte, suchten seine Feinde
nach Vorwänden, um ihre Gewaltthat mit dem Scheine des Rechts
zu umkleiden. Hierbei wurde für Crell die verwittwete Kur-
fürstin dadurch besonders gefährlich, daß sie zwar offen als
Anklägerin aufzutreten vermied, dafür aber hinter den Coulissen
ihren Einfluß desto eifriger zu seinem Verderben geltend machte.
Auf dem Landtage wurde gegen den Kanzler eine ganze
Reihe von Anschuldigungen erhoben, von denen freilich viele
durch ihre Ungereimtheit nur den blinden Haß seiner Verfolger
ins Licht zu stellen dienten 1). Unter solchen Umständen fiel
es dem Administrator nicht schwer, sich durch die Erklärung, daß
er für seine Person nichts mit dem Verhafteten zu thun habe,
in den Fragmenten z. Gesch. d. Stadt u. Univ. Leipzig 1 (1787), S. 157.
Uber den weinhansischen Auflauf Richar d a. a. O. I, 142.
1) „Dabß er dem Kurfürsten zu Änderung des Regiments und Re-
ligion, auch zur Hilfe nach Frankreich gerathen habe, dadurch der Kur-
fürst in schwere Sorge, Mühe und Bekümmerniß gedieben und sich auch
oft Über solche Sachen, dic ihm gemciniglich vor oder über der Mahlzeit
und besonders zur Unzeit vorgebracht, erzürnet, in Grimm und Zorn
darauf gegessen und getrunken, ja wider den Kaiser verhetzt und der
Kurfürst dadurch in solche Betrübniß und Schwermuth gekommen, daß
er daran gestorben.“ Richard I, 105.